Seite:Deutschland unter Kaiser Wilhelm II Band 2.pdf/72

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Ausbau nachzuführen. Einem Einstürzen der aus lockerem Material bestehenden Schachtwandungen wird dadurch vorgebeugt, daß man durch eine genügend hohe Wassersäule, deren spezifisches Gewicht durch Einschlemmen von Ton oder Schwerspatmehl erhöht wird, einen Überdruck gegenüber dem im Gebirge stehenden Wasser erzeugt. Infolge dieses Überdruckes sucht das Wasser aus dem Schachtinnern in das Gebirge überzutreten, so daß ein Druck auf die Schachtstöße ausgeübt und diese vor dem Einstürzen oder Abböschen bewahrt werden. Erst wenn das wassertragende Gebirge erreicht ist, wird eine wasserdichte Auskleidung in den Schacht eingesenkt. Trotzdem dieses Verfahren bis jetzt nur für Schächte bis zu 4 m Durchmesser angewendet worden ist, unterliegt es doch keinem Zweifel, daß es auch das Abbohren größerer Durchmesser gestattet und zurzeit vielleicht das einzige Schachtabteufverfahren ist, das auch die größten Schwimmsandmächtigkeiten zu überwinden ermöglicht. Für größere Durchmesser benutzt man allgemein das Gefrierverfahren, das in den 80er Jahren von Pötsch erfunden worden ist und Schächte von beliebig großem Durchmesser herzustellen gestattet.

Um auch Salzwasser, das man häufig antrifft, zum Gefrieren bringen zu können, wendet man das Tiefkälteverfahren an, bei dem die Temperatur der Kühlflüssigkeit auf –42° C statt auf –20° C erniedrigt wird, wodurch man selbst 26proz. Sole zum Gefrieren bringen kann. Dieses Verfahren hat es erst ermöglicht, die unter einer mächtigen Schwimmsandschicht in großer Teufe ruhenden Bodenschätze an Kohle auf dem linken Ufer des Niederrheins und im nördlichen Westfalen, sowie stellenweise die Kalischätze in Mitteldeutschland dem Bergmanne zugänglich zu machen, und dadurch in erster Linie zu der großartigen Entwicklung des deutschen Bergbaues in den letzten 25 Jahren beigetragen, weshalb es wohl mit Recht als eine der wichtigsten Neuerungen des deutschen Bergbaues bezeichnet werden kann.

Gewinnung.

Von allen Fortschritten, die der Bergbau in den letzten 25 Jahren gemacht hat, ist unstreitbar der bedeutendste die allgemeine Einführung des Bergeversatzes im Steinkohlenbergbau und seine neueste Ausgestaltung, der Spülversatz. Während der Erzbergbau die ausgewonnenen Räume sofort wieder mit taubem Gesteine versetzte, wozu er infolge des gangartigen Auftretens der Erzvorkommen und infolge ihres meist steilen Einfallens unbedingt gezwungen war, und wofür ihm in den bei der Gewinnung des Erzes fallenden tauben Teilen der Lagerstätte genügender Stoff zur Verfügung stand, beschränkte sich der Steinkohlenbergbau jahrhundertelang im wesentlichen darauf, die plattenartig gelagerte Steinkohle ohne jeden Versatz, durch den sogenannten Pfeilerbau, zu gewinnen. Bei diesem werden in dem Flöze parallele Strecken ins Feld getrieben und dann, rückwärts gehend, die zwischen diesen Parallelstrecken stehengebliebenen Flözteile, die Pfeiler, abgebaut, die man nach erfolgter Auskohlung hinter sich zu Bruche gehen läßt. Trotzdem dieses Verfahren in bezug auf Arbeitsleistung und Gewinnungskosten sehr vorteilhaft ist, hat es doch schwerwiegende Nachteile im Gefolge. Zur Sicherung der Förderstrecken und der Arbeiter sieht man sich nämlich genötigt, überall in der Grube mehr oder weniger mächtige Sicherheitspfeiler aus Kohle stehen zu lassen, die nicht wieder gewonnen werden können. Durch vorzeitiges Zubruchegehen

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 509. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/72&oldid=- (Version vom 31.7.2018)