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von Pfeilerabschnitten infolge des bei diesem Abbau auftretenden starken Gebirgsdruckes mußte man ganze Pfeiler oder sogar ganze Bauabteilungen preisgeben, und in mächtigen Flözen konnte in der Regel nur ein Teil der Kohlenscheibe gewonnen werden, wodurch ganz erhebliche Verluste entstanden, die eine große Einbuße an nationalem Vermögen bedeuten. Diese bei Pfeilerbau unvermeidlichen Kohlenverluste betragen im Durchschnitt 20–30%, können jedoch auf 50% und mehr steigen. Falls man sich heute noch dieser Abbauart bediente, würden bei einer jährlichen Förderung von 180 Millionen Tonnen in Deutschland 60 Millionen Tonnen Kohle in Höhe von 600 Millionen Mark im Jahre unwiederbringlich verloren gehen. Ein anderer ebenso schwerwiegender Nachteil des Pfeilerbaues besteht darin, daß die in der Grube zurückgebliebenen Kohlenreste sich leicht entzünden und große Grubenbrände hervorrufen, die das Leben der Arbeiter in hohem Maße gefährden und auch bedeutende Verluste an Kohle zur Folge haben, indem sie zum Verlassen ganzer Grubenfelder führen können. Ferner erhöht sich durch die mit dem Pfeilerbau verbundene Unmöglichkeit einer regelrechten und guten Wetterführung die Gefahr der Schlagwetter und Kohlenstaubexplosionen. Auch die Gefahr des Stein- und Kohlenfalles ist infolge der starken Erschütterung, die das Gebirge beim Zubruchegehen der Pfeiler erleidet, sehr bedeutend. Durch dieses Zubruchegehen wird aber auch die Tagesoberfläche in Mitleidenschaft gezogen, es entstehen Tagebrüche und Senkungen, die eine Beschädigung der auf ihnen stehenden Baulichkeiten und sogar deren Einsturz häufig im Gefolge haben. Infolge der hierdurch entstehenden Entschädigungspflicht erwachsen dem Bergwerksbesitzer besonders in dicht bebauten Gebieten außerordentlich hohe Unkosten, die den Betrieb eines Bergwerkes überhaupt in Frage stellen können.

Man verwandte zum Versatze in der ersten Zeit nur eigene Berge, die beim Auffahren der Strecken und beim Nachreißen fielen. Hierdurch wurde die Senkung des Hangenden natürlich nur zeitweilig aufgehalten, aber nicht vollständig verhindert. Diese Senkung geht indes so langsam und, bei gut ausgeführtem Bergeversatze, so gleichmäßig vor sich, daß erhebliche Schädigungen der Tagesoberfläche nur selten sind.

Will oder muß man jedoch unter allen Umständen eine Bodensenkung vermeiden, wie dies unter Eisenbahnen, Kanälen, Ortschaften und in der Nähe des Schachtes nötig ist, und zu deren Schutze man früher Kohlensicherheitspfeiler stehen ließ, so läßt sich ein Abbau dieser Sicherheitspfeiler nur durch Einbringen fremder Berge erzielen, durch die ein tatsächlicher Ersatz für die gewonnenen Materialien beschafft wird. Man spült feinkörniges Versatzmaterial mit Hilfe eines Wasserstromes in geschlossenen Röhren in die Grube. Nachdem der Spülversatz bereits im Jahre 1895 im sächsischen Steinkohlenbergbau zur Verhütung von Grubenbränden angewendet worden war, fand seine planmäßige Durch- und Einführung im Jahre 1900 auf der Myslowitzgrube durch Bergrat Williger und Bergwerksdirektor Fritsch statt, von wo aus er sich dann in den letzten 10 Jahren in ganz Deutschland verbreitet hat, und zwar nicht nur auf Steinkohlen-, sondern auch auf Eisenerz- und Kaligruben.

Bei einem Kohlenvorrate von 200 Milliarden Tonnen in Deutschland und bei einer durch den Spülversatz erzielten Verringerung der Abbauverluste um nur 10%, was

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 510. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/73&oldid=- (Version vom 31.7.2018)