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minder naturwüchsiger Talente scheinen einer für Autoren und Referenten gleichbequemen Art der Urteilsbildung Vorschub geleistet zu haben, wonach es in der Geometrie nur auf die ‚Hauptsache‘ ankommen soll, Präzision aber nicht Hauptsache ist … Hier könnte eine nicht bloß Anfängern überlassene Kritik und sich ihrer bewußte Kritik eine Milderung schaffen, jedenfalls das weitere Anwachsen der indigesta moles geometrica einschränken und auf Präzision gerichtete Arbeiten ermutigen“ (Rezension der „Vorlesungen über Differentialgeometrie“ von L. Bianchi). Hiermit möge es entschuldigt werden, aber auch durch die Knappheit des zur Verfügung stehenden Raumes, daß wir die vielen einzelnen Arbeiten nicht besprechen.

Analysis Situs.

Mit den allgemeinen Überlegungen über die Grundlagen der Geometrie stehen in einem gewissen Verbande die Betrachtungen über Topologie, wenn wir den Listingschen Ausdruck gebrauchen, oder über die Analysis situs, wie man jetzt die Lehre von den Gesetzen des Zusammenhanges, der gegenseitigen Lage und der Aufeinanderfolge von Punkten, Linien, Flächen, Körpern und ihren Teilen oder Aggregaten im Räume bezeichnet, abgesehen von den Maß- und Größenverhältnissen. Seit 1889 hat in Deutschland besonders W. v. Dyck sich mit hierher gehörigen Problemen beschäftigt. Die wichtigsten Untersuchungen hierüber sind im Auslande angestellt ( Poincaré, Heegaard ) und haben in Deutschland ein Echo gefunden. Die Theorie der Polyeder, soweit sie ihre Topologie betrifft, ist durch scharfsinnige Arbeiten deutscher Mathematiker weiterentwickelt worden, und in gleicher Weise hat sich die Theorie der projektiven Konfigurationen als ein fruchtbares Bild für Liebhaber kombinatorischer Spekulationen von schwieriger Veranschaulichung erwiesen. In beiden Gebieten hat E. Steinitz neue Probleme erfolgreich bemeistert.

Elementare Geometrie.

In der elementaren Geometrie hat die neuere Dreiecksgeometrie, die, ursprünglich in Deutschland entstanden, dann besonders in Frankreich gepflegt ist, belebend gewirkt. Außerdem hat die von Lemoine in Frankreich ersonnene Geometrographie den Anstoß dazu gegeben, daß auch in Deutschland der Vereinfachung geometrischer Konstruktionen eine erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt wird. In der Zeitschrift für mathematischen und naturwissenschaftlichen Unterricht ist jetzt für solche Konstruktionen eine besondere Abteilung vorbehalten.

Darstellende Geometrie.

Die Betonung des Wertes graphischer Methoden für praktische und unterrichtliche Zwecke hat eine Vermehrung der Schriften über die darstellende Geometrie zur Folge gehabt. Abgesehen von den verschiedenen Lehrbüchern, die wir hier nicht aufzählen können, sind nur wenige Veröffentlichungen prinzipieller Natur erschienen. Wir nennen bloß die ausgedehnten Untersuchungen von G. Hauck über die trilineare Verwandtschaft ebener Systeme. Die von M. d’Ocagne zur graphischen Lösung von Gleichungen erdachte Nomographie fängt an, auch in Deutschland für Techniker bedeutsam zu werden, und

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1233. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/104&oldid=- (Version vom 20.8.2021)