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Hinzugefügt sei, daß Kants Lehre von der Entwicklung unseres Sonnensystems später durch Laplace wertvolle Ergänzungen erfahren hat, ohne daß Laplace Kants Arbeit gekannt hätte; so daß man meist von einer Kant-Laplaceschen Theorie des Sonnensystems spricht.

Kants Werk ist darum für alle Folgezeit so bedeutsam geworden, weil fortan, auch in den letzten 25 Jahren, sein Forschungsprinzip für die Naturwissenschaft maßgebend geblieben ist; weil die Probleme der leblosen Natur sich diesem Forschungsprinzip durchweg zugänglich erwiesen haben, während die Schranken desselben, auf die Kant bei seiner Anwendung auf die Organismen stieß, sich bis in die Gegenwart hinein im wesentlichen unüberwindlich zeigen. –

Kants und Laplaces Vorstellungen von der Entwicklung des Weltgebäudes haben sich durch das ganze neunzehnte Jahrhundert hindurch behauptet; in unserm Jahrhundert dagegen hat Svante Arrhenius versucht, andere Hypothesen an ihre Stelle zu setzen. Arrhenius ist Schwede; allein sein Buch „Das Werden der Welten“ wurde 1907 durch eine gute Übersetzung der deutschen Literatur einverleibt, und seine Gedanken sind seitdem viel in Deutschland erörtert worden. Um die Darlegung der in der Naturwissenschaft des letzten Vierteljahrhunderts bedeutsam gewordenen Gedanken wird es sich in diesem Abschnitte zumeist handeln müssen; wollten wir uns dabei auf deutschnationale Autoren beschränken, so dürften wir z. B. auch Darwins nicht gedenken, dessen Lehren gerade auf deutschem Boden Gegenstand lebhaften Kampfes geworden sind. Die Naturwissenschaft erfreut sich wie keine andere internationaler Freizügigkeit; und wenn die Darstellung versucht werden soll, welchen Anteil Deutschland an der Erörterung ihrer Prinzipien in den letzten 25 Jahren genommen hat, so wird einmal der Zustand der Naturwissenschaft in der vorausgegangenen Zeit nicht unberücksichtigt bleiben dürfen, andrerseits spinnen sich unausgesetzt die Gedankenfaden zwischen deutschen Forschern und denen des Auslandes hin und her, so daß diese nicht an der geographischen Grenze unseres Landes durchrissen werden können, ohne das zu zeichnende Bild gröblich zu verstümmeln; wobei es sich von selbst versteht, daß nur solche Entdeckungen und Ideen der in Rede kommenden Zeitepoche Berücksichtigung finden werden, die gerade in der deutschen Literatur zu Bedeutung gelangt sind, mag ihr Ursprung gewesen sein, welcher er will.

Arrhenius.

Doch zurück zur Kosmogonie des Arrhenius. Während Kant die progressive Entwicklung der Welt aus einem gleichförmigen Anfangszustande vorzustellen suchte, hält Arrhenius dies für ein unlösbares Problem und sagt im Gegensatz dazu: „Das leitende Motiv bei meiner Bearbeitung der kosmogonischen Fragen war die Ansicht, daß das Weltganze seinem Wesen nach stets so war, wie es jetzt noch ist. Materie, Energie und Leben haben nur Form und Platz im Raume gewechselt.“ Damit ist die Idee einer ersten Entstehung des Lebens und einer fortschreitenden Entwicklung der Himmelskörper abgelehnt; von Ewigkeit her soll es Sternensysteme gegeben haben, wie wir sie kennen, und von Ewigkeit her erfüllten lebendige Wesen den Weltraum. Arrhenius hält den Traum von einer Selbstzeugung des Lebens an der Oberfläche erkalteter Planeten für so unzutreffend

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1238. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/109&oldid=- (Version vom 20.8.2021)