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die einzelnen Bestandteile ordnungsmäßig miteinander in Verbindung setzt, doch wie alle Gleichnisse zeigt sich auch dies nur in beschränktem Matze zutreffend.

Seele.

Dazu kommen die psychischen Erscheinungen, wie wir sie wenigstens an den höheren Organismen kennen und nachweisen können, und die wunderbare Vermählung des Körpers mit der Seele. Die Tierpsychologie hat in den letzten Jahrzehnten zahlreiche Forscher beschäftigt, und sie gehört sicher zu den bedeutsamsten Gebieten der Biologie, wenn wir auch über ihre Anfangsgründe noch wenig hinausgekommen sind. Daß die höchstorganisierten Tiere, der Affe, der Hund, das Pferd, ein Seelenleben besitzen, unterliegt nicht dem geringsten Zweifel; eine schwer zu beantwortende Frage ist aber die, wie weit auf der Stufenleiter des Tierreichs die Seele nach abwärts reicht, ob bei den niedersten Tieren noch von einer Seele gesprochen werden kann. Auch den Pflanzen hat man eine Seele zuschreiben wollen; allein Spuren eines Bewußtseins sind im Pflanzenreiche nicht nachzuweisen. Nur eine auf Analogieschlüsse sich stützende Dogmatik vermeint: so gut an den Zellen unsres eigenen Gehirns seelische Eigenschaften haften, ohne daß wir dies den Hirnzellen unter dem Mikroskop ansehen, ebensogut könnte jedem niedersten einzelligen Organismus und dann auch jeder Tier- und Pflanzenzelle eine Seele eignen. Dies ganze Gebiet ist noch in Nebel getaucht, den zukünftige Forscherarbeit hoffentlich erhellen wird.

Eine andre bedeutsame Frage ist das Verhältnis der Tierseele zur Menschenseele. Die letztere kennen wir zweifellos viel genauer als die erstere. Da ist es kein Wunder, wenn große Meinungsverschiedenheiten in Bezug auf dies Verhältnis bestehen. Die einen glauben, daß, wie in körperlicher, so auch in seelischer bzw. geistiger Hinsicht der Unterschied zwischen Mensch und Tier nur ein gradweiser, kein wesentlicher sei. Doch die Mehrzahl der Forscher, die sich gründlich und ohne Voreingenommenheit in neuerer Zeit mit diesen Fragen beschäftigt haben, ist anderer Meinung. Seine Seele, bzw. sein Geist ist es, der den Menschen nach ihrer Ansicht hoch über die Tierwelt emporhebt, so daß er kein lediglich zoologisches Problem bilden darf, wenn auch das menschliche Geistesleben eine biologische Erscheinung im weiteren Sinne ist. Dadurch aber, daß die Seele des Menschen sich dem Wesen und nicht bloß dem Grade nach von der Tierseele unterscheidet, ist der Gegensatz des Menschen zur Tierwelt bestimmt, trotz aller Übereinstimmung im Bau des körperlichen Gehäuses, das die Wohnung seines Geistes bildet.

Daß der menschliche Geist an den Zellen des lebenden Gehirns haftet, wissen wir; darüber, wie er mit denselben verknüpft ist, herrscht tiefstes Dunkel. Nun ist die Lehre heute wohl als überwunden anzusehen, daß die das Protoplasma der Hirnzellen zusammensetzenden chemischen Verbindungen es sind, welche vorstellen, denken und wollen. Von den Eigenschaften der Elektronen, der Atome und der Moleküle reicht keine Leiter zu den geistigen Funktionen hinauf. –

In all diesen Erörterungen spiegelt sich ein Teil der Gedanken, welche die Forschungsarbeit der zeitgenössischen Biologie in der Tiefe bewegen.

Physik und Chemie allein vermögen nicht, uns den Schlüssel zur Erkenntnis des Lebens zu reichen. Dennoch haftet das Leben überall und in allen seinen Erscheinungen an mechanischen, d.h. an physikalisch-chemisch bestimmbaren Systemen, an Körpern.

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1248. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/119&oldid=- (Version vom 20.8.2021)