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Himmelspoles am Sternhimmel, durch welche sich natürlich scheinbare Ortsveränderungen aller Sterne, bezogen auf diesen sogenannten Fixpunkt, ergeben, haben wir indessen keine hinreichend genaue Kenntnis der für jene Bewegung der Erdachse maßgebenden Massenverteilung im ganzen Erdkörper und sind daher darauf angewiesen, aus der Gesamtheit der Ortsveränderungen der Sterne gegen die sogenannten Fixpunkte zugleich die genaueste Kenntnis der Ortsveränderungen auch dieser letzteren zu entnehmen. Natürlich kann dies desto sicherer geschehen, je deutlicher und vollständiger wir aus der Gesamtheit der Ortsveränderungen der Sterne an der Himmelsfläche die Wirkungen der Bewegungen der Fixpunkte von denjenigen Ortsveränderungen zu sondern vermögen, welche durch unsere eigenen Ortsveränderungen im Räume und durch die wirklichen Bewegungen der Sterne selber hervorgerufen werden.

Von unsern eigenen Ortsveränderungen kommen dabei, abgesehen von den veränderlichen Strahlenbrechungswirkungen der Atmosphäre, zunächst die jährlichen Bewegungen in Frage, in Gestalt der sogenannten jährlichen Parallaxen, deren gesonderte Ermittlungen aber durch die Kenntnis dieser jährlichen Periode und der Gestalt der Erdbahn in Betracht der sehr geringen Winkelbeträge, unter denen diese Bewegungen infolge der großen Entfernungen der Sterne erscheinen, soweit gesichert sind, daß wir ihre oberen Grenzen mit einiger Wahrscheinlichkeit angeben können, und die wirklichen Werte für einige Zehner von Sternen zweifellos kennen. Diese jährlichen Parallaxen ergeben uns ja die Entfernungen dieser Sterne im Verhältnis zu den Dimensionen der jährlichen Erdbahn. Der gegenwärtige Abstand keines der uns bisher bekannten Fixsterne beträgt weniger als das Hunderttausendfache des Durchmessers dieser unserer Bahn. Nun hatte es sich aber aus den Ortsveränderungen mehrerer Tausend Sterne, von denen seit der Mitte des Jahrhunderts 17 gesicherte Messungen vorlagen, bereits ergeben, daß zweifellos auch unsere Sonne und mit ihr unser ganzes Planetensystem ähnliche fortschreitende Ortsveränderungen im Weltraum erfährt, wie die Sterne, die wir überwiegend als ferne Sonnen betrachten dürfen. Durch diese unsere eigenen fortschreitenden Ortsveränderungen im Weltraume muß nämlich die Erscheinung erzeugt werden, daß in derjenigen Gegend der Himmelsfläche, welcher wir uns nähern, die Sternenwelt sich durch das Auseinandertreten der Sterne zu öffnen scheint, während an der entgegengesetzten Stelle der Himmelsfläche die Sterne zusammenzurücken scheinen. Es ist aber klar, daß diese Wirkungen unserer Bewegung, nämlich die sogenannten säkularen Parallaxen, zwar nicht in ihrer Richtung, aber in ihrer Größe durch die Verschiedenheiten der Lage der Sterne zu unserer säkularen Bahn beeinflußt werden. Zugleich aber werden die wirklichen Ortsveränderungen in der Sternenwelt, und zwar nicht sowohl die, immerhin begrenzten, periodischen, als vielmehr die fortschreitenden, das ganze Erscheinungsgebiet der durch unsere fortschreitende Bewegung verursachten säkularen Parallaxen in erheblichstem Grade komplizieren können, zumal dann, wenn in der Sternenwelt größere Gruppen von gesetzmäßig untereinander verwandten Ortsveränderungen im Gange sind, deren Fernwirkungen für uns das einfache Gesetz der säkularen Wirkungen unserer eigenen fortschreitenden Bewegung verhüllen oder überwallen können.

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1267. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/138&oldid=- (Version vom 20.8.2021)