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Vorgang geworden. Bald nach 1888 wurden dort für etwa 50 Sterne die Radialgeschwindigkeiten mit einer bis dahin nicht erreichten Genauigkeit bestimmt. Sehr bald erkannte Vogel auch in periodisch veränderlichen Richtungen und Größen dieser Geschwindigkeiten, wie sie sich in einzelnen Spektralerscheinungen bei den mit Hilfe der Dauerphotographie verfeinerten Messungen offenbarten, deutliche Nachweise dafür, daß in gewissen, völlig punktartig leuchtenden Sternen ganze Systeme, z.B. Doppelsternsysteme, enthalten sind, für deren gesonderte Wahrnehmung unsere stärksten teleskopischen Vergrößerungen versagen, während wir aus den spektralen Zerlegungen ihres Lichtes in den Radialgeschwindigkeiten deutlich erkennen, daß dort zwei, mit gleicher oder auch mit verschiedener Helligkeit leuchtende Sterne sich um den gemeinsamen Schwerpunkt bewegen, so daß in periodisch wiederkehrenden Zeiten die Radialgeschwindigkeit des einen Sternes nach uns hin, des anderen zugleich von uns hinweg gerichtet ist.

Diese Wahrnehmungen führten weiterhin zu einer ganzen Reihe von Entdeckungen sogenannter spektroskopischer Doppelsterne. Die Umlaufszeiten in diesen Systemen von zwei einander sehr nahen Sonnen sind vielfach sehr klein. Wir kennen jetzt schon solche Bahnen mit Umlaufszeiten von wenigen Stunden. Vogel aber hatte den glücklichen Gedanken, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, daß bei solchen engen Bahnen großer leuchtender Sonnen sehr leicht periodische Verfinsterungen oder Bedeckungen eintreten können, durch welche die Gesamtwirkung des Lichtes, welches das System nach uns hin sendet, periodisch veränderlich gemacht werden kann, so daß der Sternpunkt, in welchem das ganze System für uns zusammengedrängt erscheint, ein sogenannter „Veränderlicher Stern“ wird. Eine glänzende Bestätigung erfuhr dieser Gedanke dadurch, daß die schon seit mehr als zwei Jahrhunderten beobachtete periodische Helligkeitsänderung des Sternes Algol im Perseus, für deren eigenartigen Verlauf man bis dahin keine sichere und befriedigende Erklärung gefunden hatte, auf einmal völlig verständlich wurde. Vogel wies nämlich nach, daß Algol ein spektroskopischer Doppelstern ist, und daß der periodische Verlauf seines Leuchtens völlig übereinstimmt mit der Periodizität des Verlaufes der im Spektrum gemessenen Radialgeschwindigkeiten innerhalb der Doppelsternbahn, und zwar sowohl in Betreff der Umlaufszeit als in Betreff der Zeitpunkte der verschiedenen Lichtphasen. Die geringste Lichtstärke des Sternpunktes tritt immer ein, so oft die eine der beiden Sonnen des in diesem Punkt enthaltenen Systems die andere teilweise für uns bedeckt, wobei die Geschwindigkeiten beider Sonnen rechtwinkelig verlaufen müssen zu der nach uns gewendeten Richtung, so daß dann die periodischen Werte der Radialgeschwindigkeiten nach uns hin oder von uns hinweg verschwindend klein werden.

Ganz ähnliche Erscheinungen periodischer Lichtveränderungen von Sternen, die sich bei den Messungen ihrer Radialgeschwindigkeiten als spektroskopische Doppelsterne erweisen, sind weiterhin schon in zahlreichen Fällen konstatiert worden.

Das ganze Gebiet dieser Radialgeschwindigkeitsmessungen von Sternen ist in der letzten Zeit in besonders großem Stile von den nordamerikanischen Astronomen, insbesondere von Campbell auf dem Lick-Observatory kultiviert worden. Das Potsdamer Observatorium hatte der weiteren Entwicklung dieses ganzen Messungsgebietes auch

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1270. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/141&oldid=- (Version vom 20.8.2021)