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negative Maximalvalenz besitzt, die sich beide bei allen Elementen zur Zahl 8 summieren. Er unterscheidet Normalvalenzen und Kontravalenzen, von denen die letzteren selten völlig abgesättigt sind. Stark nimmt Valenzelektronen an, die sich nahe an der Oberfläche des elektropositiven Atoms befinden und die Vereinigung der Atome bedingen. Tiefer in den Bau der Atome suchen die Physiker einzudringen auf Grund der Gesetzmäßigkeiten in den Spektren der Elemente und der Zerfallserscheinungen der radioaktiven Substanzen.

Entwicklung der anorganischen Chemie.

Während sich nach Aufstellung der Valenztheorie durch Kekulé 1858 und noch mehr nach seiner Theorie der aromatischen Substanzen 1865 die Mehrzahl der Chemiker der Fülle lockender Aufgaben und Streitfragen in der organischen Chemie zuwendete, die diese Theorien stellten, wurde die anorganische Chemie damals vernachlässigt. Dieser Zustand änderte sich jedoch im letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts. In dieser Zeit entwickelte sich hauptsächlich aus der Untersuchung physikalischer Eigenschaften anorganischer Substanzen die physikalische Chemie. Das periodische System der Elemente von Newlands, Lothar Meyer und Mendelejeff brachte die chemischen Urstoffe in eine Art gesetzmäßiger Beziehung zueinander. Die Ausfüllung von Lücken im periodischen Systeme durch das 1875 von Lecoq de Boisbaudran entdeckte Gallium, das 1879 von Nilson entdeckte Skandium und das 1886 von Clemens Winkler in Freiberg im Argyrodit entdeckte Germanium bestätigten Mendelejeffs Voraussagen über die Eigenschaften der von ihm vor ihrer Entdeckung Ekabor, Ekaaluminium und Ekasilizium genannten Elemente in glänzender Weise. So wuchs das Interesse an Forschungen auf dem Gebiet der anorganischen Chemie. Die Verwendung elektrischer Ströme zur Elektrolyse wässeriger Lösungen und die Schmelzelektrolyse brachten neue Entdeckungen. Im elektrischen Ofen erhielt die Chemie einen Apparat, in dem sich neue Reaktionen bei außerordentlich hohen Temperaturen hervorrufen ließen. Im Gegensatz dazu gestattete die Erfindung von Kältemaschinen die Erzeugung so niedriger Temperaturen, daß man schließlich alle gasförmigen Elemente in den flüssigen und die meisten auch in den festen Aggregatzustand überführen konnte. Diese Erfindungen und Entdeckungen gingen keineswegs ausschließlich aus den chemischen Instituten der Hochschulen hervor, sondern auch die Laboratorien technischer Betriebe sind an ihnen beteiligt. Stets wiederholt sich der Vorgang, daß, sowie früher schwer zugängliche Substanzen technische Verwendung finden, sie durch die chemische Industrie auch der wissenschaftlichen Forschung leichter zugänglich werden. Überall machen sich eben in dem unermeßlichen Gebiete der Chemie die innigen Beziehungen geltend zwischen Wissenschaft und Technik, einander fördernd und befruchtend.

Die Edelgase.

Selten hat eine chemische Entdeckung mehr Aufsehen erregt als die Auffindung eines neuen Elementes, des Argons, in der atmosphärischen Luft 1894 durch Lord Rayleigh und William Ramsay in London. Den Anstoß zu dieser Entdeckung gab die Beobachtung von Lord Rayleigh, daß das spezifische Gewicht des Luftstickstoffs in der dritten Dezimale höher ist als das des aus

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1297. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/168&oldid=- (Version vom 20.8.2021)