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das Kotarnin, 1910 unabhängig voneinander A. H. Salvay in England und H. Decker und P. Becker synthetisch bereitet hatten. Die Konstitution des dem Narkotin nahe verwandten Hydrastins, das neben Berberin im Sauerdorn und in der Wurzel von Hydrastis canadensis vorkommt, ist durch die Arbeiten von W. Roser und M. Freund 1892 aufgeklärt worden. Sein Spaltungsprodukt, das Hydrastinin, erhielt 1895 Paul Fritsch auf synthetischem Wege. Einen Einblick in die Konstitution des Berberins gewährten die 1890 veröffentlichten Arbeiten von W. H. Perkin, die Synthese führte 1911 Amé Pictet aus. Den Bau der Korydalisalkaloide, die teils zum Berberin, teils zum Apomorphin in naher Beziehung stehen, hat J. Gadamer aufgeklärt. Das eine dieser Alkaloide, das Glauzin, gewann er 1913 aus dem von Amé Pictet synthetisierten Laudanosin, damit den nahen Zusammenhang beider Alkaloide beweisend.


Die vorstehenden Abschnitte zeigen, welche Fortschritte die Chemie bereits in Ermittlung und Aufhellung der Konstitution und in der Synthese selbst sehr verwickelt zusammengesetzter Tier- und Pflanzensubstanzen erreicht hat. Aus verschiedenen Stellen ging hervor, daß die Untersuchung dieser Substanzen zu verwandten, in der Natur nicht vorkommenden Kohlenstoffverbindungen mit ähnlichen Eigenschaften führte. Dazu kommen Ergebnisse von Versuchen, die nur zu dem Zweck ausgeführt wurden, um bestimmte Reaktionen kennen zu lernen. So hat man Wege aufgefunden, auf denen man zu zahllosen künstlichen Teerfarbstoffen gelangen kann, so genannt, weil im Steinkohlenteer vorkommende aromatische Kohlenwasserstoffe zu ihrer Gewinnung dienten. Ferner fanden sich unter den künstlich gewonnenen organischen Substanzen physiologisch höchst wirksame Heilmittel, Riechstoffe und Süßstoffe. Überall macht sich das Bestreben der Wissenschaft geltend, uns von der Natur unabhängig zu machen, indem wertvolle Naturstoffe künstlich hergestellt oder durch künstlich hergestellte Ersatzstoffe verdrängt werden. Mit einigen dieser letzteren Substanzen wollen wir uns zunächst beschäftigen.

Teerfarbstoffe.

Die Zahl der künstlich dargestellten Teerfarbstoffe ist in den letzten 26 Jahren ganz außerordentlich angewachsen. Überaus fruchtbar für die Aufsuchung neuer Farbstoffe erwiesen sich die von O. N. Witt 1876 und von R. Nietzki 1888 aufgestellten Gesetzmäßigkeiten über den Zusammenhang zwischen Farbe und Konstitution, ein Gegenstand, über den neuere Forschungen von C. Liebermann, A. Hantzsch, Hugo Kauffmann u. a. vorliegen. Soweit die technische Bedeutung der Teerfarbstoffe in Frage kommt, sind sie in dem Abschnitt über die Fortschritte der technischen Chemie zu behandeln. Hier muß nur auf einige Farbstoffe hingewiesen werden, deren Konstitution man ermittelt hat, und die in das System der Kohlenstoffverbindungen eingereiht, dort Lücken ausfüllten oder es erweiterten.

Die Konstitution des Methylenblaus klärte 1889 August Bernthsen auf. In dem 1884 von J. H. Ziegler entdeckten Tartrazin liegt, wie R. Anschütz 1896 bewies, eine Substanz vor, die den Pyrazolonring enthält. Die Konstitution des längst bekannten Anilinschwarz gelang es 1909 R. Willstätter im Verein mit seinen Schülern zu ermitteln. Der erste sogenannte Schwefelfarbstoff ist das 1893 von dem französischen Chemiker Vidal durch Erhitzen von Paraamidophenol und Paraphenylendiamin mit Schwefel

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1311. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/182&oldid=- (Version vom 20.8.2021)