Seite:Deutschland unter Kaiser Wilhelm II Band 3.pdf/197

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

nähern sich unter Umständen den molekularen Dimensionen der Stoffe, wie sie nach der kinetischen Theorie in den typischen klaren Lösungen anzunehmen sind. Die kolloidalen Lösungen bilden also das Zwischenglied zwischen den typischen Lösungen und den gewöhnlichen Aufschlemmungen und verbinden so die letzteren mit den ersteren, durch alle möglichen Übergangsformen hindurch, zu einer stetigen Reihe. Die dispersen Stoffteilchen der kolloidalen Lösungen zeigen alle das Brownsche Phänomen der spontanen Eigenbewegung und die eingehenden experimentellen und theoretischen Untersuchungen dieser Bewegung, die nach den verschiedensten Richtungen in ausgezeichneter Weise hauptsächlich durch Perrin (1908–1910), Svedberg (1909–1910), Seddig (1909) ausgeführt wurden, haben an der im vorhergehenden Abschnitt erwähnten experimentellen Begründung der Atomistik wesentlichen Anteil.

Der metallische Zustand des Stoffes hat nach vielfacher Richtung hin eingehende Bearbeitung gefunden. Bestimmungen des Molekulargewichts, nach van’t Hoffs Lehren an Lösungen von Metallen in Metallen durch Ramsay, Tammann, Heycock und Neville (1889) unternommen, ergaben das Molekulargewicht der meisten Metalle als dem Atomgewicht gleich, diese Metalle also als „einatomige“. – Sehr ausgedehnte, ergebnisreiche, über eine Reihe von Jahren sich erstreckende Arbeiten über Metalllegierungen und die Art der dabei entstehenden Verbindungen verdanken wir Tammann (1908). Er bediente sich zur Aufdeckung der hierbei auftretenden Vorgänge in der Hauptsache der „thermischen Analyse“, d. h. der Verfolgung der Abkühlungskurven, unter theoretischer Diskussion der Ergebnisse auf Grund der Lehre vom heterogenen Gleichgewicht, die selber während der Berichtsperiode umfassend sich entwickelt hat. Das umfangreiche Beobachtungsmaterial führte zur Ausdehnung der Mitscherlichschen Lehre von der Isomorphie auf Elemente und zu bedeutsamen Schlußfolgerungen über Isomorphismus und Verbindungsfähigkeit von Metallen. Liebenow gab (1897) eine einleuchtende Theorie der elektrischen Leitfähigkeit von Metallegierungen.

Feste Gemische.

Über die Mischbarkeit fester Stoffe sind viele Untersuchungen angestellt worden. Die Fähigkeit zweier kristallisierter isomorpher Stoffe, miteinander Mischkristalle zu bilden, war der Gegenstand ausgedehnter Arbeiten von Retgers (1889-1892). Für feste Gemische anderer Art hat van’t Hoff (1890) die Bezeichnung „feste Lösungen“ in die Wissenschaft eingeführt. Gemische dieser Art sind z. B. die Metallegierungen, die bereits im vorigen Abschnitt berührt wurden, aber die Bildung fester Lösungen ist nicht etwa auf die Metalle beschränkt. Den festen Lösungen geht die gegenseitige Vertretung der Kristallmolekeln ab, wie sie bei isomorphen Mischungen statthat, sie sind wahre homogene Lösungen, analog den typischen flüssigen Lösungen, nur festen Aggregatzustandes. Daher lassen sich in ihnen gerade wie in flüssigen Lösungen Diffusionserscheinungen beobachten, die den isomorphen Mischkristallen abgehen. Auf Grund dieser Analogien konnte van’t Hoff die Gesetze des osmotischen Druckes der Lösungen auch auf diese festen Gebilde übertragen, aber das Beobachtungsmaterial ist noch wenig ausgedehnt, und die Versuche, aus festen Lösungen Molekulargrößen fester Körper zu erschließen, begegnen noch Bedenken.

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1326. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/197&oldid=- (Version vom 20.8.2021)