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Nernst und seinen Mitarbeitern, sowie von Haber, Bodenstein, Schenk u. a. brachten große Fortschritte in experimenteller und theoretischer Beziehung. Eine große Reihe einschlägiger Untersuchungen bezogen sich weiter auf heterogene Gleichgewichte mit einer flüssigen Phase. Hier sind zu nennen die grundlegenden Arbeiten von van’t Hoff und seinen Mitarbeitern (1887–1895) über die Bildung und Spaltung von Doppelsalzen. An diese reihen sich die umfassenden Forschungen von van’t Hoff, Meyerhoffer u. a. über die Gleichgewichtsverhältnisse bzw. Existenzbedingungen der in den Staßfurter Salzlagern vorkommenden Doppelsalze. Sie fanden nach einer Arbeitszeit von 10 Jahren in dem Werke van’t Hoffs „Zur Bildung der ozeanischen Salzablagerungen“ (1909) Abschluß und Zusammenfassung. Weitere Untersuchungen an analogen heterogenen Gleichgewichten mit einer flüssigen Phase wurden von Bakhuis Roozeboom, Schreinemakers u. a. ausgeführt. Ein von Willard Gibbs auf theoretischem, thermodynamischem Wege entdecktes Gesetz, die „Gibbssche Phasenregel“ gewann für das Studium solcher heterogenen Gleichgewichte einschneidende Bedeutung. Experimentell vollständig bestätigt, dient sie jetzt auch in den verwickeltsten derartigen Gleichgewichtsfällen als stets sicherer Führer, wenn auch ihre Bedeutung für Gleichgewichte anderer Art zeitweise überschätzt wurde.

Auch unseren Kenntnissen von der Reaktionsgeschwindigkeit ist in der Berichtszeit Wesentliches zugewachsen. Noyes und seine Mitarbeiter (1896–1898) sowie Donnan und Rossignol (1903) brachten die bis dahin noch ausstehenden experimentellen Bestätigungen der grundlegenden Differentialgleichung des zeitlichen Reaktionsverlaufs für tri- und höhermolekulare Reaktionen. Mentschutkin (1890) studierte eingehend den Einfluß des Mediums auf den zeitlichen Verlauf eines sich zwischen gelösten Stoffen abspielenden Vorgangs; nach gleicher Richtung gehen die Arbeiten von Buchboeck (1897) und Tubandt (1907). Die Wirkung von Katalysatoren, d. h. von Substanzen, die die Reaktionsgeschwindigkeit beeinflussen, ohne daß infolge des Vorgangs ihre eigene Menge sich änderte, wurde besonders von Bredig und seinen Mitarbeitern untersucht (1905). Kolloidale Metallösungen, insbesondere Platinmetallösung, zeigten sich als sehr wirksame Reaktionsbeschleuniger (Bredig 1899).

Das große Problem der Messung der chemischen Affinität wurde in letzter Zeit durch die Aufstellung des Nernstschen Wärmetheorems von einer neuen Seite aus angefaßt. Seitdem die theoretische Chemie mit van’t Hoff die maximale Arbeit, welche ein chemischer Prozeß liefern kann, als Maß der Affinität dieses Prozesses betrachtet, ist die Affinitätsmessung auf die Bestimmung dieser maximalen Arbeit zurückgeführt. Die beiden Verfahren, über die die physikalische Chemie bis jetzt hierfür verfügte, liefen darauf hinaus, entweder die Konstante des beim Ablauf der Reaktion sich einstellenden Gleichgewichts zu ermitteln, denn diese ist mit dem Arbeitsmaximum des Prozesses direkt verknüpft, oder aber den Prozeß in einem reversibel arbeitenden galvanischen Element sich abspielen zu lassen und die auftretende elektromotorische Kraft zu messen, die dann unmittelbar den Wert der Arbeit ergibt. Beide Verfahren waren nicht in allen Fällen anwendbar. Der von Nernst (1906) thermodynamisch abgeleitete neue Satz ermöglicht es nun, den Wert für die Affinität aus, prinzipiell wenigstens, leicht zugänglichen

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1328. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/199&oldid=- (Version vom 20.8.2021)