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erfolgreichen Forscherlebens die volle Genugtuung, daß seine Ansicht gegenüber der seiner wissenschaftlichen Gegner zu Recht bestand.

Die neurologische Diagnostik ist so ausgebaut, daß sie zu einer der sichersten in der Medizin zu rechnen ist. Die deutsche Neurologie hatte durch Männer, wie Friedreich, Erb, Leyden, Westphal, Strümpell, Wernicke, Lichtheim u. a. die Führung in der Welt.

Nicht minder groß sind die Fortschritte der Kinderheilkunde. Die Krankheiten des Säuglingsalters sind mit solchem Erfolg studiert worden, daß die Lehre von der Ernährung des Kindes (Heubner, A. Czerny) eine neue Wissenschaft geworden ist, wodurch in erster Linie die Pädiatrie zu einem voll und ganz anerkannten besonderen Fach in der Medizin geworden ist.

Durch Erkennung der „Nährschäden“, durch Einschränkung der Infektionsmöglichkeit durch Milch, gelang es, die Säuglingssterblichkeit beträchtlich herabzudrücken. Es gehört zu Durchführung der notwendigen Maßnahmen eine großzügige Organisation, welche in Deutschland an vielen Orten mustergültig durchgeführt ist, an vielen anderen im Entstehen begriffen ist.

Groß sind auch die Fortschritte in der Lehre von der Syphilis, den Hautkrankheiten, der Rhinologie, Laryngologie, Otiatrie u. a., überall herrscht reges Leben. Die von vielen so beklagte Spezialisierung hat sich vielfach glänzend bewährt und wird sich nicht aufhalten lassen; wenn die wissenschaftliche Grundlage und die Organisation der Arbeit eine gute ist, wird ihr Nutzen stets größer sein als ihr Schaden.

Wie sehr die Organisation der Forschung heute von Bedeutung ist, hat sich bei einer der bekanntesten Entdeckungen von Ehrlich gezeigt, der Einführung des Salvarsans gegen die Syphilis. Ebenso bewunderungswert wie die Auffindung und experimentelle Durchprüfung des Mittels war die gradezu großartige Organisation bei Durchführung der Versuche an kranken Menschen; mit schier unglaublicher Energie gelang es in einer verhältnismäßig kurzen Zeit ein sicheres Mittel gegen die Syphilis in seiner Wirkungen auszuprobieren, wozu früher ein Jahrzehnt und mehr gehört hätte. Ehrlich hat die experimentelle Therapie in neue verheißungsvolle Bahnen gelenkt; der Begriff der Chemotherapie bezaubert Ärzte und Laien und macht sie häufig vor der Zeit zu übermäßigen Optimisten. Wenn aber die planmäßige, zuverlässige, kritische Arbeit des Laboratoriums sich mit der gewissenhaften Beobachtung und Erfahrung am Krankenbette verbindet, dann muß es gelingen der leidenden Menschheit neue Waffen zu schmieden im Kampfe gegen Siechtum und Krankheit; so ist Hoffnung vorhanden, daß der jetzt mit so viel Energie und Begeisterung aufgenommene Kampf gegen die Tuberkulose, gegen die Geschlechtskrankheiten, gegen den Alkoholismus, gegen den Krebs, die größten Feinde des Menschengeschlechts, siegreich vorwärts gehen wird.

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1365. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/236&oldid=- (Version vom 20.8.2021)