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bewiesenen Zunahme der Krebskrankheit zusammenhängt; daß derartige Beobachtungen früher weniger häufig gemacht wurden, ist darauf zurückzuführen, daß man bei einer bösartigen Geschwulst im jugendlichen Alter ehedem das Karzinom einfach ausschloß, während die verbesserte mikroskopische Diagnostik der Geschwülste uns heute solche Irrtümer vermeiden läßt.

Kenntnis der Verbreitungswege des Krebses.

Der große Fortschritt in der operativen Behandlung des Krebses, den uns die letzten Dezennien gebracht haben, liegt nun darin, daß wir durch eingehende anatomische Untersuchungen (Heidenhain, Küttner, Most, Rotter u. a) die Verbreitungswege der einzelnen Krebsformen genau kennen gelernt haben, und daß die verfeinerte Technik und verbesserte Asepsis uns in den Stand gesetzt hat, durch ausgiebige Operationen diesen Verbreitungswegen in viel vollkommenerer Weise nachzugehen, als dies bisher möglich war. Nehmen wir als Beispiel den Brustkrebs. Nachdem man sich zuerst begnügt hatte, den Krebsknoten aus dem Brustdrüsenkörper zu entfernen, ging man dazu über, die ganze Brust fortzunehmen. Da auch die Resultate dieser Operation nicht befriedigten, fügte man die prinzipielle Ausräumung der Achselhöhle hinzu, welche die für die Ausbreitung des Brustkrebses wichtigsten Lymphdrüsen enthält. Jetzt wurden die Resultate wesentlich besser, noch mehr aber haben die Dauerheilungen, ohne größere Gefährdung der Kranken, zugenommen, seit wir, entsprechend den erwähnten anatomischen Studien, die Lymphdrüsenausräumungen noch umfangreicher gestalten und auch die von wichtigen Lymphbahnen durchsetzten Muskeln mit entfernen. Beim Zungen-, Lippen-, Gebärmutter-, Magenkrebs und vielen anderen Karzinomformen sind mit bestem Erfolge ebenfalls erweiterte Operationen eingeführt worden, die in erster Linie das für die Verbreitung des Krebses so besonders wichtige Lymphgefäßsystem berücksichtigen.

Wirkliche Erfolge werden aber auch bei dieser Art der operativen Behandlung nur möglich sein, wenn der Krebs in den Frühstadien zur Behandlung kommt, und gerade die Frühdiagnose ist in den letzten Jahrzehnten für viele Krebsformen durch Ausbildung der diagnostischen Methoden und Einführung ganz neuer, auf moderner biologischer Forschung beruhender Verfahren sehr erheblich gefördert worden. Wie maßgebend die Frühdiagnose für die Resultate der operativen Behandlung ist, geht aus folgenden Erhebungen des Stuttgarter Chirurgen Steinthal über den Brustkrebs hervor. Von den Frauen, welche rechtzeitig zur Operation kamen, bei denen also der Krebs noch klein und auf die Brustdrüse selbst beschränkt war, wurden nicht weniger als 86 Prozent dauernd geheilt; bei den Kranken, welche den Krebs so lange hatten wachsen lassen, bis er die Haut der Brust und die Lymphdrüsen der Achselhöhle ergriffen hatte, betrug die Zahl der Dauerheilungen nur noch 32 Prozent; von den Frauen aber, die dem Krebs Zeit gelassen hatten, sich noch weiter zu verbreiten, wurde keine einzige mehr geheilt.

Radiotherapie.

Die zweite wichtige Errungenschaft auf dem Gebiete der Krebsbekämpfung ist die Einführung der Radiotherapie in die Behandlung der bösartigen Geschwülste. Schüchterne Anfänge gehen bis in das Jahr 1897

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1382. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/253&oldid=- (Version vom 20.8.2021)