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zurück, in welchem Gocht zum ersten Male die Röntgenstrahlen zur Behandlung des Krebses heranzog. Sehr bald zeigte sich, daß man es hier mit einem höchst wirksamen Mittel zu tun hatte, doch war wegen der schweren Schädigungen durch die Röntgenstrahlen Vorsicht geboten, um so mehr, als diese Strahlen nicht nur ausgedehnte, schwer heilbare Geschwüre, sondern auch echte Krebse hervorzurufen vermögen, die schon so manchem, um unsere Kenntnis der Röntgenstrahlen hochverdienten Arzte das Leben gekostet haben. Durch weitere Forschungen lernte man die Schädigungen nach Möglichkeit vermeiden, und gleichzeitig fand man Verfahren, welche die Röntgenstrahlen nicht nur an der Körperoberfläche, sondern auch in der Tiefe ihre Wirkung entfalten lassen. Es ist deshalb heute als Regel anzusehen, daß man der Operation des Krebses eine sorgfältige Bestrahlungsbehandlung folgen läßt. Die Zahl der Rezidive nach Krebsoperationen scheint sich dadurch in der Tat einschränken zu lassen.

Große Erwartungen wurden auch hinsichtlich der Krebsbekämpfung an die Entdeckung des Radiums geknüpft; sie haben sich bisher nicht völlig erfüllt, hauptsächlich deshalb, weil die Beschaffung eines ausreichend großen Quantums Radium mit enormen Unkosten verbunden ist. Dagegen scheint nach den neuesten Erfahrungen das zwar ebenfalls kostbare, aber doch nicht ganz unerschwingliche Mesothorium in hohen Dosen eine Einwirkung auf den Krebs zu haben, wie wir sie bisher bei keinem anderen Mittel außer dem Radium kennen gelernt haben. Die auf dem letzten Gynäkologenkongreß bekanntgegebenen Erfolge der Frauenärzte bei Gebärmutterkrebs übertreffen alles, was bisher beobachtet worden ist. Es ist zu hoffen, daß durch die Entdeckung des Mesothoriums, die wir Otto Hahn in Charlottenburg (1905) verdanken, ein wahrer Fortschritt in der Bekämpfung des furchtbarsten Feindes der Menschheit angebahnt worden ist. Namentlich die Kombination der frühstmöglichen Operation mit der vervollkommneten Strahlungsbehandlung dürfte die Resultate der Krebstherapie in Zukunft erfreulicher gestalten. Da wir aber mit den Tausenden von Krebsheilmitteln, die im Laufe der Zeit empfohlen wurden, und die auch während der letzten Jahre wieder in großer Zahl aufgetaucht sind, bisher nur Enttäuschungen erlebt haben, so wollen wir auch hier unsere Hoffnungen nicht zu hoch schrauben, damit wir nicht, mit zahllosen unglücklichen Kranken und ihren Angehörigen, wieder zu schmerzlicher Resignation genötigt werden.


Es würde den Rahmen dieses Überblickes weit überschreiten, wollte ich auch nur mit annähernder Vollständigkeit die Fortschritte schildern, welche die Chirurgie der einzelnen Körperteile im Laufe des vergangenen Vierteljahrhunderts gemacht hat. Es gibt kein Organ, kein Glied des menschlichen Körpers, dessen Chirurgie in diesem Zeitraume nicht eine wesentliche Förderung, oder gar eine völlige Umgestaltung erfahren hätte. Deshalb muß ich mich darauf beschränken, einige besonders wichtige Kapitel als Beispiele herauszugreifen.

Gehirn.

Das Zentralorgan des menschlichen Körpers, welches alle seine Funktionen regelt und erhält, ist das Gehirn. Deshalb galt es noch vor kurzem als ein „Noli me tangere“, bis das Tierexperiment lehrte, daß operative Eingriffe

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1383. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/254&oldid=- (Version vom 20.8.2021)