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Auf die außerordentliche Entwickelung der Kehlkopfheilkunde kann hier nur kurz verwiesen werden, hat sich doch dieser Zweig der Chirurgie in den letzten Dezennien zu einem Sonderfache entwickelt, welches heute auf fast allen deutschen Universitäten durch eigene Kliniken und Lehrinstitute vertreten ist. War eine eigentliche Laryngologie erst durch die Entdeckung des Kehlkopfspiegels möglich geworden, so ist inzwischen die Beleuchtung auch anderer innerer Organe vom Munde aus weitgehend gefördert worden. Die durch v. Mikulicz eingeführte Oesophagoskopie ist uns heute ein unentbehrliches Hilfsmittel zur Diagnostik von Erkrankungen der Speiseröhre, zur Entfernung der in ihr steckengebliebenen Fremdkörper, und wird als Gastroskopie auch für die Beleuchtung des Mageninneren verwertet, während Killians Bronchoskopie (1898) die Einführung des Tubus durch die Luftröhre bis in die großen Bronchien und somit die Entfernung von Fremdkörpern selbst aus der Lunge ohne äußere Operation ermöglicht.

Brusthöhle.

Ein Gebiet, welches erst im Laufe des letzten Jahrzehnts der operativen Heilkunde erschlossen wurde, ist die Chirurgie der inneren Organe der Brusthöhle. Daß sie so gar nicht Schritt hielt mit der inzwischen weit gediehenen Entwickelung der Bauchhöhlenchirurgie hatte seinen Grund darin, daß kein sicheres Mittel bekannt war, um die großen Gefahren einer Eröffnung der Brusthöhle mit Sicherheit auszuschalten. Während die Eröffnung der Bauchhöhle bei einwandfreier Asepsis ganz ungefährlich ist, liegen die Verhältnisse bei der Brusthöhle wesentlich anders. Mit dem Moment, der Luft in die Brusthöhle eindringen läßt, stürzt die Lunge, die durch den negativen Druck im Brustraume ausgespannt gehalten wird, zusammen; sie wird nicht nur selbst aus der Atemtätigkeit ausgeschaltet, sondern beeinträchtigt durch Verschiebung des Mittelfelles auch die Atmung der anderen Lunge in einer Weise, daß unter Umständen blitzartig schnell der Tod erfolgen kann, jedenfalls aber schwere Kollapserscheinungen auftreten. Viele Methoden wurden ersonnen, um diese Gefahr zu beseitigen, die eigentliche Lösung des Problems gelang aber erst im Jahre 1904 einem jungen Assistenten der Breslauer Klinik, Sauerbruch, jetzt ordentlicher Professor der Chirurgie an der Universität Zürich. Sein Druckdifferenzverfahren verhindert die Lunge dadurch am Zusammensinken, daß es auf ihre Oberfläche einen negativen Druck einwirken läßt.

Zu diesem Zweck konstruierte Sauerbruch eine pneumatische Kammer. In ihr befindet sich der Körper des Patienten, während der Kopf außerhalb ruht. Dieser und mit ihm die an Mund und Nase ausmündende Innenfläche der Lunge steht also unter Atmosphärendruck, während in der Kammer, die gleichzeitig den Operateur und Assistenten aufnimmt, mittels Luftpumpe ein geringer negativer Druck erzeugt wird. Eröffnet man nun in der Kammer den Brustkorb, so bleibt die Lunge entfaltet, weil auf ihre Oberfläche ein negativer, auf ihre Innenfläche der Atmosphärendruck einwirkt. Diesem Prinzip des Unterdruckes steht das des Überdruckes, welches besonders von Brauer ausgebildet wurde, gegenüber; hier wird in einem den Kopf umgebenden Kasten oder in einer, Mund- und Nasenöffnung bedeckenden Maske ein erhöhter Druck erzeugt, der nun ausschließlich auf die Innenfläche der Lunge wirkt, diese gleichsam aufbläst und so ebenfalls

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1387. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/258&oldid=- (Version vom 20.8.2021)