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der Schilddrüse. Die Überpflanzung geschah unter die Haut, in Muskeln, Bauchhöhle, Knochenmark und Milz. Namentlich der letztere, von Payr gewählte Weg erschien wegen der günstigen Ernährungsbedingungen für das Implantat aussichtsvoll. Payr hat einem sechsjährigen kretinistischen Kinde ein Stück der mütterlichen Schilddrüse eingepflanzt und zunächst einen auffälligen Heilerfolg erzielt. Das Resultat hat sich jedoch nicht als dauerhaft erwiesen, und so muß angenommen werden, daß trotz der Entnahme aus der nächsten Blutsverwandten – ein Verfahren, welches bei derartigen Operationen stets den Vorzug verdient – das Implantat auch in der Milz nicht erhalten geblieben ist, sondern das Schicksal aller Überpflanzungen von Schilddrüsengewebe, wohin auch immer sie erfolgten, geteilt hat, das der Resorption.

Von großem Interesse sind die Übertragungen der Keimdrüsen, Hoden und Eierstöcke, von denen man namentlich die letzteren vielfach zu therapeutischen Zwecken transplantiert hat. Während die Verpflanzung von Hodensubstanz stets mit deren Resorption geendet hat, sind mit der Eierstocksübertragung wenigstens bei Tieren günstige Resultate erzielt worden. Man hat die Entwicklung von Eiern aus verpflanzten Ovarien beobachtet. Guthrie will dies Resultat auch bei Austausch der Ovarien von schwarzen und weißen Hennen erreicht haben. Die Zungen sollen dann nicht einfach die Färbung der Henne gezeigt haben, von welcher der Eierstock stammte, sondern sie sollen in der Grundfärbung schwarze und weiße Flecken aufgewiesen haben, welche auf einen Einfluß der Adoptivmutter zurückzuführen waren. So verblüffend diese beim Tiere erzielten Resultate sind, beim Menschen hat die Ovarientransplantation Fiasko gemacht, denn die in der Literatur mitgeteilten Heilerfolge halten einer ernsten Kritik kaum stand.

So hat die Organtransplantation, alles in allem genommen, ebensoviel Enttäuschungen gebracht, wie Erwartungen an sie geknüpft worden sind. Nur bei der Auto-Transplantation entgeht in einigen besonderen Fällen der Pfröpfling dem üblichen Schicksale der Resorption, gerade hier aber ist die Auto-Transplantation ohne jede praktische Bedeutung. Je höher organisiert ein Gewebe ist, desto weniger eignet es sich zur Verpflanzung, denn „das Transplantat braucht um so mehr eigene Wachstumskraft und Ernährungsfähigkeit, je weniger es von gleichartigem, körpereigenem Gewebe substituiert werden kann“ (Lexer). Ob der jeder Homoioplastik, besonders aber der von Organen und Organteilen, hinderliche biochemische Unterschied der Zellen und des Serums durch Immunisierung überwunden werden kann, ist heute noch nicht entschieden. Einen Sinn würde, wie Lexer zutreffend bemerkt, nur die Behandlung des Gebers mit dem Serum des Empfängers haben, denn der umgekehrte Weg würde die Bedingungen für die Transplantation eines Organs nur verschlechtern.

Noch ein weiteres Moment ist der Verpflanzung von Organen und Organteilen ungünstig, das ist ihre funktionelle Abhängigkeit vom Nervensystem. Je mehr die Funktion eines Gewebes nervösen Einflüssen unterliegt, desto ungeeigneter ist es für die freie Transplantation, denn der funktionelle Reiz ist nach Rouxs vielfach bestätigter Feststellung für die Einheilung und Erhaltung des Transplantates von größter Bedeutung. Daher mißlingt auch die freie Verpflanzung von Muskel- und Nervengewebe ohne Ausnahme (Landois), und gerade deren Mißerfolge machen es ohne weiteres

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1397. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/268&oldid=- (Version vom 20.8.2021)