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Berufes, sowie außerhalb desselben sich der Achtung würdig zu zeigen, die sein Beruf erfordert. Ein Arzt, welcher die ihm obliegenden Pflichten verletzt, hat die ehrengerichtliche Bestrafung verwirkt.

Als weiteren Grundsatz stellt das Gesetz mit Recht auf, daß politische, religiöse und wissenschaftliche Ansichten oder Bestrebungen eines Arztes als solche niemals den Gegenstand eines ehrengerichtlichen Verfahrens bilden können. Die Gesetzgebung hat es den Entscheidungen der ärztlichen Ehrengerichte und der Appellinstanz, dem Ehrengerichtshof, überlassen, die Normen für das ärztliche Verhalten innerhalb und außerhalb des Berufes festzustellen. Die wichtigste, von beiden Gerichten stets betonte Pflicht des Arztes, ist die ärztliche Hilfeleistung in Fällen dringender Lebensgefahr, mag diese durch eine plötzliche schwere Erkrankung, oder durch die plötzliche Verschlimmerung einer bereits bestehenden Krankheit herbeigeführt sein, nicht zu versagen. Allerdings kann der Arzt nach geleisteter erstmaliger Hilfe eine Weiterbehandlung ablehnen, er muß dieses aber sofort bei dem ersten Besuch erklären, falls er sich vor unliebsamen Folgen schützen will. Mit diesen ehrengerichtlichen Entscheidungen ist die frühere im alten preußischen Strafrecht (§ 200) festgelegte ärztliche Pflicht zur Hilfeleistung (auch ohne Unglücksfälle und gemeine Gefahr) wieder rechtskräftig geworden.

Weiterhin darf ein Arzt einen seiner Obhut anvertrauten Kranken nicht im Stiche lassen, will er sich nicht einer gewissenlosen Handlung schuldig machen. Er muß seinen Beruf auch unter Hintansetzung der eigenen Person ausüben, was übrigens bei jeder ansteckenden Erkrankung seitens des Arztes geschieht.

Auch bezüglich der ärztlichen Untersuchungen und Begutachtungen sind ehrengerichtliche Entscheidungen ergangen, welche die sorgfältige Untersuchung und die Begutachtung in wissenschaftlich schlüssiger Weise für unerlässig erklären. Sodann hat das standeswürdige Verhalten im Verkehr der Ärzte untereinander und mit Patienten durch Entscheidung in einzelnen Fällen eine Erläuterung erfahren.

Durch diese Gesetzgebung sind manche Einwände gegen die ärztlichen Bestrebungen der neueren Zeit hinfällig. Wir dürfen hoffen, daß der Zusammenschluß der Ärzte, Hand in Hand mit der Gesetzgebung, welche das ärztliche Berufsleben betrifft, zu einer Hebung der ärztlichen Tätigkeit und zu einer Einengung unerfreulicher Zeiterscheinungen führen wird.

Gesteigerte Anforderungen an die Leistungen.

Allerdings sind die Anforderungen an die ärztlichen Leistungen wesentlich gestiegen. Die Fortschritte auf dem Gebiet der Erkennung der Krankheiten sind ebenso wie diejenigen der Behandlung in den letzten Jahrzehnten außerordentlich große gewesen. Ich erinnere nur an die mikroskopische und chemische Untersuchung des Blutes, des Urins, an die Bedeutung der elektrischen Untersuchung, der Röntgenuntersuchung, der Radium-, der Mesothorium-Behandlung.

Alle diese Methoden sind auch dem Nichtmediziner bekannt, und es ist naturgemäß, daß jeder Kranke, ob hoch oder niedrig, mit allen Hilfsmitteln untersucht und behandelt sein will. Alle diese Methoden stellen aber große Ansprüche an den Arzt, Reisen zu Kongressen, Teilnahme an ärztlichen Fortbildungskursen und die Anschaffung vielfach

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1408. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/279&oldid=- (Version vom 20.8.2021)