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Für derartige Fälle sind Modifikationen des Strafgesetzbuchs im Hinblick auf ärztliche, dem Heilzweck dienende Operationen oder eine andere Interpretation des bestehenden Rechts dringend erwünscht.

Die Entwicklung der sozialen Hygiene.

Der Ausbau der sozialen Hygiene ist im wesentlichen unter der Regierung Kaiser Wilhelms II. erfolgt, wenn auch wichtige Anfänge schon früher vorhanden waren. Durch das Gesetz vom 8. April 1874 war die segensreiche Schutzpockenimpfung in ausgedehnterer Weise eingeführt worden, die Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund vom 21. Juni 1869 mit einer Anzahl folgender Novellen enthielt schon einzelne Verordnungen zum Schutz der Arbeiter; vor allem muß dem Gesetz über den Verkehr mit Nahrungsmitteln, Genußmitteln und Gebrauchsgegenständen vom 14. Mai 1879 und 29. Juni 1887 ein Einfluß auf die Gesundheitspflege zugeschrieben werden.

Bekämpfung übertragbarer Krankheiten.

Aber erst eine systematische Zusammenfassung aller Aufgaben in den letzten Jahrzehnten, insbesondere auch die Bekämpfung der übertragbaren Erkrankungen, die energischen Maßnahmen zum Schutz der Arbeiter in gesundheitsgefährlichen Betrieben haben der sozialen Hygiene praktische Erfolge errungen, die zu hoffen niemand gewagt hatte. Diese Fortschritte veranschaulicht am besten eine Zusammenstellung der Sterbefälle auf 1000 Einwohner, in den verschiedensten Zeitabschnitten. Während bis zum Jahre 1880 die Sterblichkeit in Deutschland zwischen 25 und 30‰ pro Jahr schwankte, setzte in den folgenden zehn Jahren ein langsamer Rückgang auf 21,9‰, in den Jahren 1901–1909 ein solcher auf 18,6‰ ein. Diese Abnahme ist langsam fortschreitend erfolgt; im Jahre 1910 betrug sie nur 17,1‰ auf 1000 Einwohner und befindet sich noch im Sinken. Sie hat an einzelnen Orten schon 15 pro Mille erreicht. Dementsprechend läßt sich auch heute schon eine Verlängerung des durchschnittlichen menschlichen Lebens feststellen. Es betrug die mittlere Lebensdauer in den Jahren 1871–1880 für Männer 35,58 Jahre, für Frauen 38,45 Jahre; in den Jahren 1881–1890 für Männer 37,17 Jahre, für Frauen 40,25 Jahre; in den Jahren 1891–1900 für Männer 40,6 Jahre, für Frauen 43,9 Jahre. Auch im letzten Jahrzehnt ist eine weitere Zunahme zu verzeichnen.

Wir betrachten, wie oben erwähnt, als soziale Hygiene alle die Ergebnisse und Aufgaben, welche sich für die Gemeinschaft des Volkes oder einzelner Gruppen aus der Erkennung und Behandlung einzelner Gesundheitsstörungen oder gehäufter Fälle dieser ergeben. Von diesem Gesichtspunkte aus kommen vor allem die Schädigung durch unzweckmäßige Ernährung, Verfälschung von Nahrungs- und Genußmittel, einschließlich schlechten Wassers, die Gefahren für die Gesundheit, durch die Berufstätigkeit und weiterhin durch ansteckende Krankheiten in Betracht. Zu der Bekämpfung dieser Schädigungen kommen diejenigen, welche den Säuglingen und Kindern, der Schuljugend und den jugendlichen Arbeitern drohen.

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1410. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/281&oldid=- (Version vom 20.8.2021)