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und erwägt, daß viele alkoholische Erkrankungen sich der öffentlichen Beurteilung entziehen, daß die Nachkommenschaft der Trinker vielfach geistig minderwertig ist und dem Verbrechen und der öffentlichen Armenpflege anheimfällt, dann muß man die Bestrebungen gegen den Alkoholismus mit allen Kräften unterstützen.

Bestrebungen dagegen.

Diese Bestrebungen haben in allen Kulturstaaten eingesetzt, am energischsten und mit dem größten Erfolg in Schweden und Norwegen, durch Beschränkung der Schankstellen (in Gotenburg 1 Schankstelle auf 2798 Einwohner), Verbot des Borgs und des Verkaufs an Menschen unter 18 Jahren, Einrichtung von Kaffeehäusern mit Leseräumen.

In Deutschland hat allerdings die Verwaltung die Möglichkeit, die Auswüchse des Alkoholismus zu bekämpfen, indem die Konzession zum Ausschank geistiger Getränke an ihre Genehmigung gebunden ist. Aber trotzdem viele Gesuche, eine Kneipe errichten zu dürfen, abgelehnt werden, muß die Zahl der Kneipen doch noch als viel zu hoch bezeichnet werden. Kommt doch eine Kneipe in einzelnen Provinzen auf 141–162 Einwohner, in anderen auf etwa 200. Von besonderem Schaden ist es, daß in kleineren Geschäften Alkohol in größeren Mengen über die Straße verkauft werden darf.

Erfolge in Deutschland.

Immerhin hat die Bekämpfung des Alkoholismus in Deutschland Erfolge zu verzeichnen. Daß die Besserung der Arbeiterwohnungen, der Lebensverhältnisse ein wichtiger Faktor ist, braucht kaum betont zu werden. Auch die Gesetzgebung vom 15. Januar 1892, nach welcher derjenige entmündigt werden kann, welcher infolge von Trunksucht seine Angelegenheiten nicht zu besorgen vermag, oder sich und seine Familie der Gefahr des Notstands aussetzt oder die Sicherheit anderer gefährdet, dürfte von Einfluß gewesen sein, wenn sie auch nicht allzu häufig in Anspruch genommen wird. Weiterhin kann nach § 361 des BGB. derjenige, welcher sich dem Trunk dergestalt hingibt, daß er in einen Zustand gerät, in welchem zu seinem Unterhalt und zum Unterhalt derjenigen, zu deren Ernährung er verpflichtet ist, durch Vermittlung der Behörde fremde Hilfe in Anspruch genommen werden muß, mit Haft bestraft und in einem Arbeitshaus untergebracht werden.

Reichsversicherungsordnung.

Eine weitere Möglichkeit zur Bekämpfung des Alkoholismus hat die Reichsversicherungsordnung gebracht, indem auch Trunksüchtigen, welche nicht entmündigt sind, an Stelle der Renten ganz oder teilweise Sachleistungen gewährt werden können. Auf Antrag eines beteiligten Armenverbandes oder der Gemeindebehörde muß dieses sogar geschehen. Mit Zustimmung der Gemeinde können die Sachleistungen auch durch Vermittlung einer Trinkerfürsorgestelle gewährt werden; allein in Preußen bestehen 132 derartige, in der Regel von Bezirksgruppen gegründete Einrichtungen, die meist seitens der Landesversicherungsanstalten durch Zuschüsse unterstützt werden. Diese tragen auch die Kosten, welche durch Aufnahme ihrer trunksüchtigen Klienten in Heilanstalten entstehen.

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1427. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/298&oldid=- (Version vom 20.8.2021)