Seite:Deutschland unter Kaiser Wilhelm II Band 3.pdf/299

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Außerdem können trunksüchtige Rentenempfänger der Landesversicherungsanstalten gegen Abtretung der Rente in einem Invalidenheim verpflegt werden. Ferner kann in Preußen nach einer Verfügung des Ministers des Inneren vom 24. Dezember 1841 die Ortspolizeibehörde den Schankwirten Persönlichkeiten als Trunkenbolde bezeichnen, denen bei einer Polizeistrafe von 2 bis 5 Talern kein Branntwein verabreicht, oder auch nur der Aufenthalt in der Gaststube verstattet werden darf.

Allerdings wird von dieser Berechtigung kaum Gebrauch gemacht. Sie dürfte aber mehr in Betracht kommen, wenn es sich darum handelt, dem Rentenbezieher an Stelle baren Geldes Naturalien zu verabreichen, da nach dem Invalidenversicherungsgesetz und dem Unfallversicherungsgesetz für Land- und Forstwirtschaft die Rentenbezüge denjenigen Personen in Naturalleistungen geliefert werden können, welchen geistige Getränke in öffentlichen Schankstätten nicht verabreicht werden dürfen.

Freiwillige Mitwirkung des Volkes.

Alle diese gesetzlichen und verwaltungsrechtlich möglichen Eingriffe in das Leben des Trinkers bedürfen aber der freiwilligen Mitwirkung des Volkes. Schon seit langer Zeit sind an verschiedenen Orten Deutschlands Anstalten für Trinker errichtet worden, teils von dem Gedanken der möglichen Heilung der Trunksucht ausgehend, teils von dem Wunsch, Trinker, welche außerhalb der Anstalt rasch wieder dem Alkoholismus verfallen und in Konflikte geraten, vor beidem zu retten. Außer den Trinkerheilstätten sind in Deutschland in den letzten Jahren 178 Fürsorgestellen für Trinker erstanden. Ihre Bedeutung wird im Laufe der Zeit sicher wachsen. Vielfach sind auch Erfrischungshallen in Städten, in Fabriken eingerichtet, welche an Stelle alkoholischer Getränte Milch, Kakao, Kaffee zu einem geringen Preis verabreichen. Der Berliner Frauenverein gegen den Alkoholismus hat neben vielen anderen Erfrischungshallen auch eine solche an Stelle einer früheren Kneipe und in dieser nach dem Vorbild Schwedens einen Mittagstisch eingerichtet. Auch im Grunewald wurden alkoholfreie Erfrischungshallen eingerichtet und die Entziehung der Schankgerechtsamkeit der Förster seitens des Forstfiskus erreicht.

Eine erfolgreiche Bekämpfung des Alkoholismus ist aber nur zu erwarten, wenn alle Kreise des Volkes in dem gleichen Gedanken zusammenarbeiten. Da die höher kultivierten Klassen und Rassen den weniger kultivierten häufig als Vorbilder dienen, so ist es die erste Aufgabe, daß die Trinksitten der Wohlhabenden bekämpft werden, und daß letztere an der Beschränkung und dem Ersatz der Trinksitten mitarbeiten.

Der Appell zur Mitarbeit mußte sich demgemäß an erster Stelle an die jetzigen und künftigen Führer des Volkes, die Lehrer, die Offiziere und Studierenden wenden. Man muß auf England hinweisen, in dem der Sport und die damit verknüpfte Ausbildung der körperlichen Leistungsfähigkeit in den höheren Klassen den Alkoholismus sehr eingeschränkt hat. Der Appell ist auch nicht vergebens gewesen.

Die Bestrebungen im Kampf gegen den Alkoholismus gehen zwar unter zwei verschiedenen Devisen, aber im Prinzip hat jede dieser Bewegungen ein gewisses Recht. Die völlige Enthaltung von Alkohol ist für viele Menschen nicht nur durchführbar, sie ist für

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1428. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/299&oldid=- (Version vom 20.8.2021)