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doch beanspruchen. Jedenfalls ist von allen Seiten der wichtigen Frage und den Mitteln zu ihrer Lösung durch großzügige Jugendfürsorge reges Interesse entgegengebracht worden. Am 19. Juli 1909 trat sodann in Dresden der deutsche Kongreß für Säuglingsschutz zum erstenmal zusammen, zum zweitenmal 1910 in München. Den verschiedenen Anregungen der Vortragenden ist auch die Aufnahme des erwähnten Mutterschutz-Paragraphen der Reichsversicherungsordnung zu danken.

Auch auf dem Gebiete der Säuglingsfürsorge bietet sich unter Einbeziehung der Ärzte und Hebammen noch ein weites erfolgversprechendes Arbeitsfeld.

Maßnahmen gegen Abtreibung.

Eine Ausdehnung ist besonders erwünscht, daß Maßnahmen gegen die heute so häufig geübte Abtreibung der Leibesfrucht ergriffen werden. In dieser Beziehung übt das Kurpfuschertum einen geradezu verheerenden Einfluß aus. Mittel zur Verhütung der Empfängnis und zur Beseitigung der Schwangerschaft werden teils in Zeitungsanzeigen und in brieflichen Anzeigen empfohlen, teils durch Geschäfte und Hausierer vertrieben. Daß auch im übrigen das Kurpfuschertum schweren Schaden durch Verhinderung der Seuchenbekämpfung und durch Ausbeutung armer Kranker verursacht, hat früher schon Erwähnung gefunden.

Rückblick.

Die wichtigen Gesetze und die Fülle von Arbeiten und Bestrebungen auf dem als soziale Medizin und Hygiene umschriebenen Gebiet haben in wenig Jahrzehnten größere Fortschritte gezeitigt, als sie früher Jahrhunderte ja Jahrtausende zu verzeichnen hatten. Diese Fortschritte zeigen sich darin, daß für den überwiegenden Teil der weniger gut situierten Bevölkerung und ihre Angehörigen im Fall von Krankheit, Alter, Invalidität und Unfall Fürsorge getroffen und der früher leicht eintretenden Verarmung gesteuert ist, daß die übertragbaren Krankheiten, sowie die Gesundheitsschädigungen durch berufliche Tätigkeit eine überraschende Abnahme erfahren haben, daß Mittel und Wege gefunden sind, auch andere Gesundheitsschädigungen der Bevölkerung fernzuhalten, daß auf Grund aller dieser Maßnahmen die durchschnittliche Lebensdauer und mit der Erhaltung der Arbeitskraft auch der Wohlstand eine beträchtliche Zunahme erfahren haben.

Daß derartige Umgestaltungen mit ihren Lichtseiten auch manche Schatten nicht vermissen lassen, wer kann das leugnen? Niemals wird es an Bestrebungen fehlen, die besten Gesetze und Maßnahmen zu persönlichem Vorteil oder im Parteiinteresse auszubeuten. Die Erkenntnis Berufener wird aber sicher in der Lage sein, derartige Bestrebungen einzuengen und eine Ausbreitung der Schädigungen zu verhindern. Es wäre unrecht, wollten wir uns durch einige trübe Erfahrungen die Freude an dem Errungenen rauben und von dem als recht erkannten Weg ablenken lassen.

Aufgaben.

Denn noch harren viele dankbare Aufgaben der Lösung. In der energischeren Bekämpfung des Alkoholismus und der Syphilis, in der Erziehung einer körperlich und geistig gesunden Jugend kann noch viel geleistet werden.

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1431. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/302&oldid=- (Version vom 20.8.2021)