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Veterinärmedizin
Von Prof. Dr. Eber, Direktor des Veterinärinstituts der Universität Leipzig


Die Veterinärmedizin als Wissenschaft.

Die Veterinärmedizin blickt als Wissenschaft erst auf eine verhältnismäßig kurze Entwickelungszeit zurück. Zwar hat es zu allen Zeiten Menschen gegeben, die sich empirisch mit der Behandlung kranker Tiere beschäftigten, aber eine wissenschaftliche Tierheilkunde, gewachsen auf dem gleichen Boden, aus dem auch die Menschenheilkunde ihre besten Kräfte zieht, gibt es doch erst seit anderthalb Jahrhunderten. Die ständige Bedrohung und teilweise Vernichtung der Viehbestände Europas durch verheerende Seuchen, insbesondere die Rinderpest, war der Anlaß, daß endlich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in den meisten Kulturstaaten auch Anstalten zum wissenschaftlichen Studium der Tierkrankheiten ins Leben gerufen wurden. Mit der Gründung dieser ersten tierärztlichen Fachschulen beginnt die Zeit der wissenschaftlichen Tierheilkunde (Veterinärwissenschaft). Gab somit die Furcht vor verheerenden Tierseuchen den Anstoß zur Gründung der ersten tierärztlichen Lehr- und Forschungsanstalten, so war die Sorge um die Fernhaltung tierischer Seuchen von den an Wert beständig zunehmenden landwirtschaftlichen Viehbeständen auch in der Folgezeit die mächtigste Förderin der jungen Wissenschaft.

Zwar mußten sich erst noch tiefgreifende Wandlungen in den herrschenden Anschauungen über Entstehung und Verbreitung seuchenhafter Krankheiten vollziehen, bis endlich in den sechziger und siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts mit der allgemeinen Anerkennung der Tatsache, daß sowohl die menschlichen als auch die tierischen Seuchen durch Ansteckungsstoffe – in der Regel kleinste pflanzliche Lebewesen – hervorgerufen und verbreitet werden, die Grundlagen für eine erfolgreiche Bekämpfung der Seuchen durch Verhütung der Ansteckung und Vernichtung des Ansteckungsstoffes gewonnen waren.

Staatliche Tierseuchenbekämpfung.

Mit dieser Erkenntnis waren der staatlichen Tierseuchenbekämpfung neue Wege gewiesen. Daß diese Wege zum Ziele führen können, hat erstmalig die noch in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts geschaffene, in ihren wesentlichen Bestimmungen noch heute gültige deutsche Rinderpestgesetzgebung bewiesen, mit deren Hilfe es gelungen ist, die in den sechziger und siebziger Jahren noch wiederholt nach Deutschland eingeschleppte Rinderpest stets in verhältnismäßig kurzer Zeit wieder zu unterdrücken und seit Anfang der achtziger Jahre dauernd von Deutschlands Gauen fernzuhalten.

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1433. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/304&oldid=- (Version vom 20.8.2021)