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von dem Wunsche, die deutschen Viehbestände auch unter den schwierigen Verhältnissen der modernen, auf höchste wirtschaftliche Ausnutzung zielenden Viehhaltung und des sich immer verwickelter gestaltenden Viehverkehrs wirksam vor Seuchen zu schützen, und gestützt auf wissenschaftliche Forschung und praktische Erfahrung, haben Männer der Wissenschaft und der Praxis in gemeinsamer Arbeit mit den zuständigen Reichs- und Staatsbehörden ein Werk geschaffen, das in der Gesetzgebung anderer Staaten nicht seinesgleichen hat – ein Markstein in der Geschichte der Tierseuchenbekämpfung! Ob sich freilich alle Hoffnungen erfüllen werden, ja überhaupt erfüllen können, die sich an dieses Gesetz knüpfen, muß dahingestellt bleiben. Manches Neuland ist in Angriff genommen, und die Zukunft muß lehren, ob das Rüstzeug für diese Arbeit ausreicht. Wie aber auch dermaleinst das Urteil im einzelnen ausfallen wird, ein gutes Stück wird uns das neue Seuchengesetz sicherlich auf dem erfolgreich betretenen Wege vorwärtsbringen. Dann aber werden Wissenschaft und Praxis, so hoffen wir, neue Waffen zum weiteren erfolgreichen Kampfe geschmiedet haben.

Fleischbeschau.

Die Dienste, welche die Veterinärmedizin der Allgemeinheit leistet, sind mit der Bekämpfung der Tierseuchen noch nicht erschöpft. Die durch den allgemeinen Aufschwung der naturwissenschaftlichen und medizinischen Forschung in der Mitte des vorigen Jahrhunderts bedingte zunehmende Vertiefung unserer Kenntnisse von den vielseitigen Wechselbeziehungen zwischen Tier- und Menschenkrankheiten hatte naturgemäß auch zur Folge, daß man den Gefahren, die der menschlichen Gesundheit durch den Genuß des Fleisches kranker Tiere drohen, erhöhte Aufmerksamkeit schenkte und Mittel und Wege zu ihrer Abwehr suchte. So wurde der jungen tierärztlichen Wissenschaft noch in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts nicht nur ein neues Forschungsgebiet, sondern zugleich auch ein wichtiges Feld praktischer Tätigkeit im Dienste der Allgemeinheit erschlossen, die Fleischbeschau, der zahlreiche Tierärzte seither ihre Kräfte widmen.

Ihren Ausgangspunkt nahm die wissenschaftliche Forschung, welche die Anregung zum Aufschwunge der Fleischbeschau gab, von den Arbeiten Küchenmeisters über die Metamorphose der Schweinefinnen in Bandwürmer des Menschen im Jahre 1852 und Zenkers über die Schädlichkeit der Muskeltrichinen des Schweines für den Menschen im Jahre 1860. Als dann Villemin 1865 die Tuberkulose für eine spezifische, von Mensch auf Tier und von Tier auf Tier übertragbare Infektionskrankheit erklärt und Gerlach 1869 die Übertragbarkeit der Tuberkulose durch Verfütterung des Fleisches tuberkulöser Tiere experimentell bewiesen hatte, war der Grund zur wissenschaftlichen Fleischbeschau gelegt, die dann in den achtziger und neunziger Jahren eine gewaltige Förderung erfuhr. So gelang es mit Hilfe der neueren experimentellen Methoden der Pathologie in der Folgezeit noch wiederholt, durch Impfung und Fütterung die Möglichkeit der Übertragung verschiedener Tierkrankheiten auf den Menschen durch den Fleischgenuß festzustellen. Auch lehrte die Bakteriologie eine Anzahl kleinster pflanzlicher Lebewesen kennen, die im Fleische ihr Dasein fristen und, mit demselben auf Menschen übertragen, wiederum Krankheiten hervorrufen, und mit Hilfe der Chemie wurde festgestellt, daß andere im Tierkörper

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1436. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/307&oldid=- (Version vom 20.8.2021)