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und Verwendungen, kann allein zur phänomenologischen Aufklärung über das, was es als dies Wirkliche ist, führen.

Wenn eine Philosophie den Namen einer Wirklichkeitswissenschaft verdient hat, so ist es diese. Damit ist zugleich gesagt, daß sie nicht die ganze Philosophie ist und sein kann. Vielleicht wird sie dereinst zu einer das Wesentliche heraushebenden Lehre von den Gegebenheiten des Bewußtseins und damit zu einer Grundlage für die Wissenschaften von den realen und den idealen Objekten werden. Wie dem auch sein mag, jedenfalls hat die Philosophie sich auch hier schöpferisch erwiesen und eine Aufgabe ergriffen, deren Fruchtbarkeit in Erstaunen setzt, nachdem sie so lange unverstanden geblieben war. Gewiß ist noch manches an der hier eingeschlagenen Methode unklar, gewiß sind auch die Ergebnisse noch nicht so einwandfrei und allgemeingültig, wie erwartet und verkündet wird. Auch werden schwierige Auseinandersetzungen mit der Psychologie und mit der Erkenntnistheorie nicht zu vermeiden sein. Aber unsere Zeit hat sich mit dieser Phänomenologie und ihrer intuitiven Methode das Verdienst erworben, der wissenschaftlichen Entwickelung eine neue weithin sich erstreckende Bahn eröffnet zu haben. Dabei wird etwas Absolutes, die Tatsache schlechthin, in ihrer eigentlichsten Bedeutung, gefaßt und bestimmt.

Windelbands Philosophie der Werte.

Wieder in anderer Weise wird die Tendenz zu einer absoluten Philosophie in der Windelbandschen Philosophenschule erkennbar, welche im Sinne einer schon von Lotze gewiesenen Aufgabe die allgemeingültigen Werte als den Gegenstand betrachtet, mit dem sich die Philosophie zu beschäftigen habe, und demgemäß eine Logik als Lehre von der Wahrheit, eine Ethik als Lehre von der Gutheit und eine Ästhetik als Lehre von der Schönheit unterscheidet. Die metaphysische Realität eines diese absoluten Werte zusammenfassenden Normalbewußtseins ist der Gegenstand der Religion, welche die Zugehörigkeit zu einer Welt geistiger Werte zum Ausdruck bringt. Die Selbständigkeit gegenüber den Einzelwissenschaften wird der Philosophie hier durch die ihr eigentümliche kritische Methode gesichert, die alle menschlichen Vernunfttätigkeiten daraufhin untersucht, wie weit darin allgemeine, von den spezifischen Bedingungen der Menschheit unabhängige, rein sachlich in sich begründete Vernunftinhalte zum Bewußtsein und zur Geltung gelangen. Empirisch gegeben sind die psychischen Funktionen des Vorstellens, Fühlens und Wollens und die historischen Gestaltungen der Wissenschaft, Sittlichkeit und Kunst. An ihnen sind die Vernunftinhalte von übergreifender Bedeutung durch die kritische Besinnung aufzudecken.

Diese Lehre bringt die große Wahrheit zum Ausdruck, daß unsere Werturteile eines letzten Maßstabes, einer höchsten Norm in jedem Wertgebiet bedürfen, daß unsere Bestrebungen ebenso die Richtung auf ein fernstes Ziel einschlagen, daß wir somit ein einheitlich abgestuftes Wertsystem bilden und brauchen, in dem die untergeordneten Glieder nur insofern Werte sind und Wert haben, als sie an den obersten Bestimmungen teilnehmen. Ob freilich diese letzten Instanzen, an die wir urteilend, wollend und schaffend appellieren, keine unausgleichbaren individuellen Unterschiede

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1160. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/31&oldid=- (Version vom 11.5.2019)