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diesen Zuständen bedeutet die Einführung einheitlicher Grundsätze für den Handel mit Nutz- und Schlachtvieh im ganzen Deutschen Reiche sicherlich einen bedeutsamen Fortschritt, wenn auch die Regelung auf deutsch-rechtlicher Grundlage den Ansichten der tierärztlichen Sachverständigen auf diesem Gebiete nicht entsprochen hat. Die Zukunft muß lehren, ob es gelingen wird, die Härten der zur Zeit gültigen gesetzlichen Bestimmungen durch Ausbau und Ergänzung der durch Kaiserliche Verordnung festgesetzten Hauptmängelliste zu mildern.

Tierärztliche Lehr- und Forschungsanstalten.

Der gewaltige Aufschwung der Veterinärmedizin, von dem soeben in gedrängter Kürze eine Übersicht gegeben wurde, wäre nicht möglich gewesen, wenn sich nicht zugleich auch tiefgreifende Änderungen im gesamten tierärztlichen Bildungswesen vollzogen hätten, die ihrerseits wiederum eine völlige Umgestaltung der deutschen tierärztlichen Lehr- und Forschungsanstalten in den letzten 25 Jahren herbeigeführt haben. Wenn auch der erste Anstoß zu dieser Entwicklung bereits im Jahre 1879 mit Einführung der Primareife als Vorbildung, Festsetzung eines siebensemestrigen Fachstudiums und Neuregelung des Prüfungswesens nach dem Vorbilde der ärztlichen Prüfungsordnung gegeben wurde, so hat es doch noch länger als zwei Jahrzehnte gedauert, bis endlich durch Einführung des Abiturientenexamens als Vorbedingung für die Zulassung zum Studium der Veterinärmedizin vom 1. April 1903 ab auch in dieser Hinsicht das tierärztliche Studium dem ärztlichen gleichgestellt wurde. Zwar haben die einzelnen Bundesstaaten, dem Vorbilde Preußens folgend, bereits Ende der achtziger Jahre ihre Tierarzneischulen zu „Tierärztlichen Hochschulen“ erhoben und hierdurch wenigstens äußerlich den übrigen Fachhochschulen gleichgestellt, aber vor dem entscheidenden Schritte, zugleich auch die Vorbildung für das tierärztliche Studium zu erhöhen, schreckte man damals noch zurück aus Furcht, daß es den tierärztlichen Bildungsanstalten alsdann an Studierenden und in Zukunft dem Lande an Tierärzten fehlen würde. Es ist ein unvergängliches Verdienst des damaligen Prinzen Ludwig von Bayern, durch tatkräftiges Eintreten für die Forderung der Tierärzte im bayrischen Landwirtschaftsrate kurz vor Neujahr 1900 diese wichtige Angelegenheit wieder in Fluß gebracht zu haben, die nach Überwindung erheblicher Schwierigkeiten endlich im Juli 1902 durch Festsetzung der Maturität als Vorbedingung für das tierärztliche Studium ihren befriedigenden Abschluß fand. Daß die Bedenken, die man früher gegen die Einführung der vollen Universitätsreife geltend gemacht hat, nicht stichhaltig waren, hat sich schon wenige Jahre nach dem Inkrafttreten der neuen Bestimmungen gezeigt, denn der Zudrang zum tierärztlichen Studium hat nach kaum zweijähriger Übergangszeit andauernd in solchem Maße zugenommen, daß gegenwärtig bereits die drohende Überfüllung des tierärztlichen Berufes sowie die Mittel und Wege zu ihrer Abwehr ernstlich erörtert werden. Hieran dürfte auch die in diesem Jahre nach langwierigen Verhandlungen gleichsam als Abschluß des gesamten Reformwerkes zur Einführung gelangte neue Prüfungsordnung für Tierärzte, die als wesentliche Änderung eine Verlängerung der Studienzeit von 7 auf 8 Semester vorsieht, kaum etwas ändern.

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1441. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/312&oldid=- (Version vom 20.8.2021)