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verschont blieb, wenngleich auch die Maul- und Klauenseuche um 1911 ganz allgemein in Deutschland auftrat und große Verluste verursachte. Daß sich in der Tierzucht der Fortschritt langsamer vollzieht als in der Pflanzenzucht, ist wohl begreiflich, da z.B. bei Pferden und Rindern die Neuzucht einer Generation mehrere Jahre in Anspruch nimmt, während die Pflanzen alljährlich Samen und Nachwuchs bringen. Infolgedessen hat sich der deutsche Pflanzenbau in den beiden letzten Dezennien verhältnismäßig schneller heben können als unsere Tierhaltung; und es tritt daher die in der Tierzucht bis heute geleistete Arbeit, namentlich was die Qualität und die von ihr abhängende Leistung betrifft, erst später voll in die Erscheinung. Sie berechtigt zu den schönsten Hoffnungen!

Ernährung des Volkes.

Was indessen bis heute geleistet ist, läßt erkennen, daß der deutsche Landwirt alle Kraft daran gesetzt hat, um der pflanzlichen und tierischen Ernährung des Volkes bei seiner starken Vermehrung gerecht zu werden. Freilich ist es ihm bis heute noch nicht gelungen, das Volk in seinen landwirtschaftlichen Bedürfnissen – soweit die Früchte des gemäßigten Klimas in Frage kommen – frei vom Auslande zu machen. Während Deutschland noch vor 50 Jahren ein fast reiner Agrarstaat war, der das Volk selbst zu ernähren vermochte, haben sich seitdem Handel und Industrie so entwickelt, daß die heimische Landwirtschaft den Bedarf der Bevölkerung außer in Fleisch nicht mehr zu befriedigen vermag und wir große Mengen Nahrungs-, Bekleidungs- und Genußstoffe einzuführen genötigt sind.

Diese Tatsache führte naturgemäß dazu, die bis dahin als Ödland ungenutzten Flächen des Vaterlandes zum Anbau heranzuziehen und andererseits die deutsche Landwirtschaft auch auf unsere Kolonien auszudehnen. Das sind zwei neue gewaltige Aufgaben, an welche die deutsche Landwirtschaft erst in den letzten 25 Jahren herangetreten ist und herantreten konnte, und sie bilden wegen der Größe ihrer Folgeerscheinungen einen neuen Markstein in der Entwicklung unserer Landwirtschaft.

Neues Ackerland.

Die Gewinnung von neuem Ackerland in der Heimat geschieht in der Hauptsache durch die Kultur von Moorländereien, die über 4% der Fläche Deutschlands einnehmen, aber auch große Flächen Heidelandes sind noch kulturfähig zu gestalten. Vom Jahre 1890 bis Ende 1910 hat sich nun die Erntefläche im Deutschen Reiche von 22 531 000 auf 23 545 000 ha, das ist um 1 014 000 ha vermehrt. In Preußen allein nahm die Ödlandfläche während dieser Zeit um 764 000 ha ab, wovon der hauptsächlichste Teil auf die Provinz Pommern entfiel. Die Gesamtzunahme an anbaufähigem Lande betrug in Deutschland 4,5 und in Preußen 5,4%. Im ganzen Deutschen Reiche verteilt sich das Neuland auf die Hauptfrüchte in folgender Weise: Es wuchs der Kartoffelacker um 13,4%, das Haferland um 10,4%, das Roggenland um 6,5%, das Wiesenland um 1%. Die Zahlen lehren uns, wie sehr die Gesamterträge innerhalb der deutschen Landwirtschaft noch zu vermehren sind, wenn wir die Kultur der Ödländereien energisch betreiben und bis zum letzten Ende durchführen. Dieses Problem konnte jedoch erst in Angriff genommen werden, nachdem die billigen Kalisalze und das Thomasschlackenmehl neben dem Kalk und

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1448. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/319&oldid=- (Version vom 20.8.2021)