Seite:Deutschland unter Kaiser Wilhelm II Band 3.pdf/321

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Viertel entfielen 1911 rund 2½ Milliarden Mark auf sogenannte Kolonialprodukte, das ist knapp 1/6 von Deutschlands Gesamtbedarf landwirtschaftlicher Stoffe, und 1½ Milliarden Mark, das ist rund 1/10 von Deutschlands Gesamtbedarf landwirtschaftlicher Stoffe, auf Erzeugnisse des gemäßigten Klimas, welche der heimische Boden zurzeit noch nicht zu liefern vermag. Diese Zahlen zeigen uns klar und deutlich, wo und wie uns der Schuh drückt, und weisen der deutschen Landwirtschaft den Weg, der uns zur wirtschaftlichen Unabhängigkeit von anderen Ländern führt. Besonders erkennen wir aber auch, wie sehr unser Volk schon jetzt Bodenerzeugnisse der Tropen und Kolonien benötigt, und welche hohe Aufgabe unseren Landwirten in unseren Kolonien gestellt ist. Bis jetzt konnten diese erst zu einem nur sehr geringen Teile in unseren Kolonien erfüllt werden, denn sie vermögen zurzeit noch nicht mehr als 3–4% unseres Bedarfs an kolonialen Bodenerzeugnissen zu decken; für über 96% zahlen wir noch an fremde Kolonien. Aber es ist möglich, daß, wenn wir noch zwei Menschenalter treu und beharrlich unsere Kolonien beackern und beweiden und die gleichen Fortschritte darin machen wie in den letzten 5 Jahren, wir unser Ziel erreicht haben werden. An geeigneten Böden und an Arbeitskräften fehlt es in unseren Kolonien nicht und Kapital und tüchtige Beamte sind in der Heimat genügend vorhanden, um die Kolonien damit beglücken zu können. Es ist daher wünschenswert, daß gerade der deutsche Landwirt sein Interesse an unseren Kolonien anspornt!

Unsere koloniale Landwirtschaft hat aber auch noch die große Bedeutung für die heimische, daß sie ihr wirtschaftlich vornehmlich in der Ernährung unserer stets wachsenden Viehbestände zu Hilfe kommt und daß sie uns zum Dank für die vielen erprobten Lehren der Heimat zu neuen Gedanken und Problemen anregt. Das wirkt unwillkürlich wie ein segensreiches Ferment!

Ich habe bisher von den neuzeitlichen Erfolgen und Aufgaben unserer Landwirtschaft im allgemeinen geredet, ohne dabei jedesmal hervorzuheben, welchen Anteil daran die Wissenschaft im Einzeln hat. Daher hierüber noch ein kurzes Wort!

Wissenschaftler.

Früher befanden sich Theorie und Praxis der Landwirtschaft im Widerstreit, weil sie sich gegenseitig nicht verstanden. Als aber Albrecht Thaer gezeigt hatte, daß ein gründlicher Theoretiker auch ein tüchtiger Landwirt sein kann, und Julius Kühn umgekehrt, daß ein gründlicher Praktiker auch als ein tüchtiger Vertreter der Wissenschaft Anerkennung und Ehrung finden kann, ist der Widerspruch behoben. Und so erkennt heute jeder denkende Landwirt an, daß die moderne Praxis der Wissenschaft viel zu verdanken hat und ohne sie nicht mehr auskommen kann. Die Arbeiten der Agrikulturchemiker, wie Liebig, Wolff, Maercker, Kellner, König, Fleischer und Soxhlet, die von Kühn, Settegast, Werner, Wollny, Dünkelberg, von der Goltz, Orth und mancher noch wirkenden landwirtschaftlichen Professoren, sind so grundlegend für die Landwirtschaft gewesen, daß man sich ihren Fortschritt ohne sie kaum denken kann. Aber auch die hervorragenden Praktiter mit ihren rühmenswerten Erfolgen seien hier genannt, H. von Nathusius-Hundisburg, Dr. Schultz-Lupitz, Dr. W. Rimpau-Schlanstedt, Dr. Th. H. Engelbrecht-Obendeich, O. Cimbal-Frömsdorf, F. von Lochow-Petkus und anderer mehr, deren Wirken in die letzten 25 Jahre fällt. Schließlich muß hier auch besonders der preußischen Regierung

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1450. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/321&oldid=- (Version vom 20.8.2021)