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IV. Die Agrikulturchemie
Von Professor Dr. W. Schneidewind, Halle a. S.


1. Die Ernährung der landwirtschaftlichen Kulturpflanzen.

Der Stickstoff.

Der bei weitem größte Teil der in das Gebiet der pflanzlichen Ernährung fallenden Arbeiten beschäftigte sich in den verflossenen 25 Jahren mit dem Stickstoff, dem zurzeit wichtigsten Pflanzennährstoff, wenn von der Kohlensäure der Luft und dem Wasser abgesehen wird.

Stickstoffassimilation durch Leguminosenbakterien.

Gleich im Jahre 1888 fand die Veröffentlichung der epochemachenden Entdeckungen Hellriegels und Wilfahrts über die Stickstoffassimilation der Leguminosen statt. Aus den umfangreichen Untersuchungen dieser Forscher ging unzweifelhaft hervor, daß nur die Leguminosen den freien Stickstoff der Luft zu assimilieren vermögen, und daß diese Stickstoffbindung vermittelt wird durch die in den Wurzelknöllchen sitzenden Bakterien, welche mit den Leguminosen in Symbiose leben. Die weiteren Forschungen über die Stickstoffassimilation durch die Leguminosen beschäftigten sich hauptsächlich mit der Art der Leguminosenbakterien und der Impfung. Während Hellriegel und Wilfarth und auch andere Forscher den Standpunkt vertraten, daß jede einzelne Leguminose für sich eine bestimmte Art von Bakterien beanspruche und nur verwandte Leguminosenarten sich vertreten könnten, steht man jetzt auf dem Standpunkt, daß es nur eine Hauptart dieser Bakterien gibt, welche sich nur den verschiedenen Leguminosen anpassen müsse. Hierfür spricht die Tatsache, daß Leguminosen, welche noch nie auf einem Kulturboden angebaut wurden, im ersten Jahre noch keine Knöllchen ansetzen und somit keinen Stickstoff assimilieren, bei weiterem Anbau aber ohne jede Impfung reichlich Knöllchen ansetzen und reichlich Stickstoff assimilieren. Dies war z. B. der Fall bei Lupinen und Serradella, welche nach Versuchen von B. Heinze auf dem Lößlehmboden der Versuchswirtschaft Lauchstädt, wo sie noch nie angebaut worden waren, vom 2. Jahre ab reichlich Knöllchen ansetzten und reichlich Stickstoff assimilierten.

Die vielen Impfversuche, welche man auf den verschiedensten Bodenarten anstellte, ergaben, daß ein durchschlagender Erfolg der Impfung nur da für das erste oder die ersten Jahre zu erwarten ist, wo die betreffenden Leguminosen noch nie angebaut wurden oder längere Zeit in der Fruchtfolge gefehlt haben. Eine Impfung kann vorgenommen werden in Form von Reinkulturen (Nitragin und Azotogen) oder in Form von Impferde, einem Leguminosenboden entnommen.

Als praktische Konsequenz der Hellriegelschen Entdeckungen hat sich ergeben eine ausgedehnte Anwendung der Leguminosen als Gründüngung zur Anreicherung des Bodens an Stickstoff. Die Gründüngung ist, wie Schultz-Lupitz zuerst nachwies, ein Hauptproduktionsfaktor für die leichten Böden, kommt aber auch bis zu einem gewissen Grade in Frage für bessere Böden (siehe Berichte der Versuchswirtschaft Lauchstädt von M. Maercker und W. Schneidewind).

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1472. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/343&oldid=- (Version vom 20.8.2021)