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worden; in Deutschland wurde die erste Anlage 1891 zur Versorgung der Stadt Köln errichtet. Heute beherrscht der Wechselstrom einen gewaltigen Teil der Elektrotechnik. Seine gegen heftigsten Widerstand errungenen Erfolge verdankt er jener Umsetzbarkeit der Spannungen in Transformatoren, einer Eigenschaft, der sich auf der Seite des Gleichstroms nichts von annähernd gleichem Werte gegenüberstellen läßt, heute auch nicht mehr, wie man es früher wohl tun konnte, die Akkumulierbarkeit.

Den Erfolg der Wechselstromtechnik in den letzten 25 Jahren muß man um so mehr bewundern, je mehr man erkennt, welche außerordentlichen Schwierigkeiten sich ihm entgegenstellten. Die Theorie mußte zuerst auf der von den Physikern, Helmholtz u. a., gelegten Grundlage aufgebaut werden, eine mühsame Arbeit, die mit den von der praktischen Technik gestellten Forderungen oft nicht Schritt halten konnte. Die Entdeckungen und Erfindungen überstürzten sich fast. Zum gewöhnlichen Wechselstrom, dem Einphasenstrom, trat der Mehrphasenstrom hinzu. Dieser aus zwei oder drei in ihren Phasen verschobenen Einphasenströmen bestehende Strom hatte seine wertvollste Eigenschaft, nämlich die, bei passender Anordnung der von ihm erregten Feldmagnete ohne weiteres ein rotierendes Magnetfeld zu erzeugen, schon im Jahre 1883 offenbart. Zu praktischer Bedeutung gelangte er erst durch die Erfindung des asynchronen Induktionsmotors, die wieder gerade in das Jahr 1888 zu verlegen ist, wo Ferraris und Tesla ihre Arbeiten und Konstruktionen bekanntmachten. Dieser Motor, dessen Anker nach Dobrowolsky in nichts weiter als einer Anzahl von an ihren Enden durch Kupferringe leitend verbundenen Kupferstäben zu bestehen braucht – wegen seiner Ähnlichkeit mit dem drehbaren Käfig des Eichhörnchens Käfiganker genannt – beseitigte mit einem Schlage den größten Nachteil des Wechselstroms, den nämlich, daß es keine praktisch befriedigenden Wechselstrommotoren gab; ja er verwandelte den Nachteil in einen Vorteil, denn an Einfachheit kann sich mit ihm kein anderer Motor messen.

In der Ausbildung und Verwendung des neuen Motors und des Mehrphasenstromes in Gestalt des reinen Drehstroms übernahm die deutsche Wissenschaft und Technik die Führung. Dies zeigte sich glänzend auf der Frankfurter internationalen elektrotechnischen Ausstellung im Jahre 1891, wo, in Verbindung mit der Schweizer Maschinenfabrik Örlikon, die Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft unter ihrem hervorragenden Ingenieur Dobrowolsky die Motorstation einer nach diesem System betriebenen Energieübertragung von 70 PS auf 175 km Entfernung von Lauffen am Neckar aus vorführte. Der Kaiser hatte das Unternehmen durch Bewilligung eines Reichszuschusses von 10 000 M. gefördert. Hinter diesem glanzvollen Ausstellungobjekte trat ein von Görges erfundener Drehstrommotor von Siemens & Halske, ein Kommutatormotor, zurück, obwohl er gegenüber dem erstgenannten den Vorteil hatte, seine Geschwindigkeit in weiten Grenzen regulieren zu lassen. Erst mehrere Jahre später, als mehr Gewicht auf Regulierbarkeit gelegt wurde, gelangten die Kommutatormotoren auf der Grundlage des Görgesschen Motors zu praktischer Bedeutung. Ganz erheblich wurde ihre Einführung erleichtert, ja eigentlich erst ermöglicht durch die bei der Gleichstrommaschine zur Funkenunterdrückung so erfolgreich angewendeten Wendepole. Die Bewältigung der

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1510. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/381&oldid=- (Version vom 20.8.2021)