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insbesondere die Glühlampen, nebeneinander zwischen die Leitungen geschaltet werden müßten. Wie man solche Leitungen aber so berechnen sollte, daß die angeschlossenen Lampen trotz der in den Leitungen eintretenden, mit der Zahl der eingeschalteten Glühlampen schwankenden Verluste gut funktionierten, darüber herrschte noch eine heute kaum verständliche Unklarheit. Ende der achtziger Jahre erschienen die ersten Arbeiten deutscher Ingenieure; kleine Vernachlässigungen, wie sie auch sonst dem Ingenieur geläufig sind, nahmen dem Probleme seine vorherigen Schwierigkeiten. Selbst verwickelte Gebilde, Netze mit förmlichen Maschen, lernte man bald behandeln, nachdem Hochenegg, Herzog, Feldmann und andere die ersten Schwierigkeiten zu überwinden verstanden hatten.

Die Frage, in welcher Stärke man Ströme durch Leitungen bestimmten Querschnitts schicken dürfe, ohne sie übermäßig zu erwärmen, wurde lange Zeit unrichtig beantwortet, weil die älteren, von deutschen Physikern angestellten Untersuchungen vergessen waren. Erst auf dem Umwege über Amerika wandte man sich 1889 auch bei uns wieder einer besseren Erkenntnis zu, und der Verband Deutscher Elektrotechniker ersetzte im Jahre 1895 die alten Faustregeln durch eine für Hausinstallationsleitungen gültige Belastungstabelle. Neue Tabellen wurden von demselben Verbande 1907 angenommen, und zwar auch für unterirdische Kabel, nachdem Teichmüller die Frage durch theoretische Untersuchungen geklärt und diese später im Laboratorium von Felten & Guilleaume mit deren Ingenieur Humann durch praktisch-experimentelle Untersuchungen bestätigt hatte. Dem von den Gebrüdern Hopkinson in England schon 1883 erfundenen Dreileitersystem, durch das der Vorteil der Spannungsverdopplung ohne Erhöhung der Lampenspannung erreicht wurde, reihten um 1890 Siemens & Halske unter Vervierfachung der Leitungsspannung das Fünfleitersystem an. Die Erhöhung der Spannung wurde aber immer dringlicher, je mehr das Bedürfnis wuchs, die Energie auf größere Entfernungen zu übertragen. Das Fünfleitersystem konnte sich wegen seiner Kompliziertheit nicht behaupten, sobald die Wechselstromtechnik den oben geschilderten Aufschwung nahm und es durch ihre wundervolle Fähigkeit, die Spannung in fast beliebigen Grenzen hinauf- und herabzusetzen, ermöglichte, für die Leitungen hohe Spannungen zu verwenden, während die Spannung der Stromempfänger beliebig klein gehalten werden konnte. Die für die Leitungen dabei entstehenden Aufgaben: die theoretische Beherrschung der Drehstromleitungen, die wirtschaftliche Frage nach der Bedeutung des dauernden Energieverlustes in den Transformatoren und ihre Folge: die Anwendung von Gruppentransformatoren mit einem Sekundärverteilungsnetz, die Berücksichtigung von Kapazität und Selbstinduktion der Leitungen, schließlich die Konstruktion der Leitungen – alle diese Aufgaben wuchsen mit der Ausdehnung der Leitungsnetze ins Ungemessene und beschäftigen die Elektrotechnik bis in die jüngste Zeit auf das eifrigste. Und gerade auch auf diesem Gebiete steht die deutsche Elektrotechnik neben der amerikanischen, die in mancher Richtung kühner und rücksichtsloser vorgegangen ist, an der Spitze. Welche Fortschritte hier gezeitigt sind, mag durch die Mitteilung belegt werden, daß sich die Firmen im Jahre 1891 noch scheuten, ein Kabelnetz für eine Spannung von 3000 Volt zu bauen, heute werden von denselben Firmen Mehrleiterkabel für 30 000 Volt

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1513. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/384&oldid=- (Version vom 20.8.2021)