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Zusammendrängen der Menschen neben- und übereinander auf die Sterblichkeit im allgemeinen, auf bestimmte einzelne Krankheiten, auf die Schulunfähigkeit, Militäruntauglichkeit usw. entstehen, ist in letzter Zeit immer genauer, teils statistisch, teils medizinisch nachgewiesen worden. Die baupolizeilichen Vorschriften über Baudichtigkeit bestehen nun aus vier Gruppen von Regeln, nämlich: die Flächenregel über den zur Bebauung gestatteten Bruchteil eines Grundstücks, die Höhenregel über die Größthöhe von Häusern und über die zulässige Anzahl der Geschosse, die Abstandsregel über das Verhältnis von Höhe zu Abstand zwischen zwei einander gegenüberstehenden Gebäuden, endlich die Raumregel, betreffend die Mindestabmessungen von Zimmerhöhe, Zimmergrundriß, Fensterfläche, eine dem Familienstand entsprechende Mindestzahl der Räume, die zulässige Anzahl der Wohnungen pro Haus, die Möglichkeit der Durchlüftung. Zu diesen Regeln hat man noch mehrere Varianten ersonnen, so über das zulässige Kubikmaß aller Bauten auf einem Grundstück, über die Mindestgröße eines in den Hofraum einzuschreibenden Kreises, über die zu belichtende Bodenfläche von Zimmern, über rückwärtige Baulinien. Sodann müssen noch Bestimmungen über Feuersicherheit, konstruktive Festigkeit, Nachbarverhältnisse, hinsichtlich der Lage zur Straße u. a. hinzutreten, um eine vollständige Bauordnung zusammenzusetzen. Auch ist das sog. wilde Bauen durch Vorschriften über provisorische Zugänglichkeit und Entwässerung zu regeln.

Das ganze, außerordentlich umfangreiche und verschiedenartige Material aus ganz Deutschland wurde auf Veranlassung des Verbandes deutscher Architekten- und Ingenieurvereine durch den Verfasser gesammelt, kritisch beleuchtet und als Normale Bauordnung 1880 herausgegeben. In der Tat erschienen bei dieser Bearbeitung die vielerlei Verschiedenheiten unter den in Deutschland bestehenden Bauordnungen wissenschaftlich unberechtigt, vielmehr einheitliche Hauptgrundsätze durchaus zulässig, vorbehaltlich von Abweichungen in gewissen Punkten aus örtlichen Gründen, wie Klima, Sitte, Baumaterial. Jenes Buch sollte somit bei der Verbesserung von örtlichen, von Bezirks- und Landesbauordnungen dienen, welche erfreulicherweise neuerdings vielfach vorgenommen ist. Mustergültig sind besonders die neuen Landesbauordnungen von Sachsen und Baden ausgefallen, weniger befriedigend diejenigen von Bayern und Württemberg, am dürftigsten der diesjährige preußische Gesetzentwurf, in welchem das meiste den Gemeinden überlassen bleibt. Namentlich wurde aber schon bei jener Arbeit an eine Reichsbauordnung gedacht. Die Vorteile einer solchen leuchten ein: es ließen sich die Einwirkungen der Trägheit, der Unwissenheit, der Privatinteressen von vornherein zurückweisen, welche jetzt in jedem Lande, an jedem Ort einzeln mit Mühe bekämpft werden müssen; Schwierigkeiten liegen nicht auf technischem, sondern auf politischem Gebiet. Denn eine Reichsbauordnung würde einen wichtigen Bestandteil der im vorigen Jahr beschlossenen Reichswohnungsreform bilden, welcher sich jedoch bekanntlich alsbald Bedenken wegen Kompetenz der Landesgesetzgebungen entgegengestellt haben. Hoffentlich wird der erfreuliche Aufschwung zu einheitlichem Vorgehen nicht durch Sonderströmungen ohne sachliche Gründe eingeschränkt, sondern ganze Arbeit machen, wie sie ja in anderen Ländern längst besteht.

Bedeutsame wissenschaftliche Arbeiten auf dem Gebiet der Bauordnungen wurden

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1525. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/396&oldid=- (Version vom 10.12.2016)