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Gegenwärtig dürfte es in Deutschland wenige Orte geben, welche derartige Einrichtungen nicht wenigstens notdürftig begonnen haben. Im Jahre 1911 haben 388 Städte nicht mehr unmittelbar in Flüsse entwässert, sondern zuvor gereinigt.

Die hygienische Bedeutung der Städtereinigung und Entwässerung und die große Zahl gelöster Aufgaben in den letzten Jahrzehnten ersieht man in dem Sammelwerk von Salomon: „Städtische Abwasserbeseitigung in Deutschland“, 1907 und seither fortgeführt. Als Dokumente der umfassenden technisch-wissenschaftlichen Arbeit sind hervorzuheben: Büsing, „Die Städtereinigung“, 1897–1901. Frühling, „Die Entwässerung der Städte“ im Handbuch der Ingenieurwissenschaften, 4. Aufl. 1910.

Die Kanalisation eines Geländes bildet in der Regel eine Grundbedingung für dessen Bebauungsfähigkeit. Nur bei weiträumiger Bebauung mit reichlicher Acker- oder Gartenfläche läßt sich etwa das Brauchwasser durch unmittelbare landwirtschaftliche Verwendung beseitigen. Ferner wird durch die technischen Anforderungen an ein Kanalnetz die Anordnung des Straßennetzes wesentlich beeinflußt. Für flachliegende Baugebiete ist die Bestimmung der allgemeinen Höhenlage der künftigen Straßen besonders wichtig, denn von ihr sind einerseits die Kosten der Entwässerung, andererseits die Kosten der Aufhöhung von Straßen und Grundstücken abhängig. Gewisse Gebiete können überhaupt erst mit den heutigen Hilfsmitteln der Kanalisation, wie Ausgleichbehälter, Pumpen, Transportkanäle entwässert werden. Insbesondere zeigt sich dies, wo eine Stadt unerwartet auf eine entlegene Gegend hinauswachsen möchte und das bestehende Kanalnetz sich nicht mehr einfach verlängern läßt. Nicht selten sieht man jedoch Bebauungspläne, in welchen durch „schöne“, aber ungeschickte Linienführung oder verkehrte Höhenlage der Kanalisation große Schwierigkeiten oder Kosten erwachsen. Es sind deshalb Straßennetz und Kanalnetz gemeinsam zu bearbeiten, um vollständig zu befriedigen.

Wohnungswesen.

Seit langem und besonders in den letzten Jahrzehnten wird viel Mühe darauf verwendet, die Tatsachen und Ursachen der vielbeklagten Übelstände im Wohnungswesen zu untersuchen und Gegenmaßregeln vorzuschlagen. Wohnungsmißstände geben sich nach vier Richtungen kund: in quantitativer Beziehung, insofern die Herstellung von Wohnungen dem Bedarf nicht regelmäßig folgt, in finanzieller durch die allgemeine Steigerung der Wohnungsausgaben einer Familie (Mieten), welche von den Einnahmen (Löhne) bis zu ⅓ verschlingen, ferner in gesundheitlicher Hinsicht vermöge der schon oben besprochenen Wohndichtigkeit, endlich auf sittlichem Gebiet durch Familienzerfall und Heimatentfremdung, durch Alkoholismus und Verbrechertum, kurz in der Gewöhnung an ein äußerlich und innerlich menschenunwürdiges Dasein. Zahllose Belege zu alledem begründen leider noch vielfach das Motto: Teuer und schlecht, aber auch das gesteigerte Bestreben zur Verbesserung der Wohnungszustände, als der wichtigsten äußeren Grundlage aller sozialen und sittlichen Reformen.

Der Aufwand für eine Wohnung entsteht aus Bauplatz und Baukosten (im engeren Sinn). Auf beide Teile ist die Baudichtigkeit, vor allem die Geschoßzahl des Hauses, von Einfluß. Erhält ein Haus mehr Geschosse, so nehmen die Mauerdicken, Baugerüste,

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1528. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/399&oldid=- (Version vom 10.12.2016)