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Arbeitsmengen u. a. zu, aber es vermindern sich die auf sämtliche Geschosse zu verteilenden Aufwände von Dach, Keller und Straße, daher die Baukosten im ganzen per qm Nutzraum abnehmen. Was den Bauplatz betrifft, so ist der Aufwand dafür das Produkt aus Fläche und Einheitspreis. Auf beide Faktoren wirkt der Grad der Baudichtigkeit ein, aber in entgegengesetztem Sinn. Durch enge Höfe und zahlreiche Geschosse kann an Fläche gespart werden, aber der Einheitspreis stellt sich um so höher, denn derselbe hängt ab, außer von der allgemeinen Bedeutung der Stadt und der Lage des Grundstücks, von der geschäftsmäßigen Ertragsfähigkeit durch möglichst viele Räume, also von dem baupolizeilich zulässigen Höchstgrad der Baudichtigkeit.

Wie nun die beiden Teile, Baukosten und Bauplatz, unter verschiedenen Voraussetzungen hinsichtlich Geschoßzahl und Bodenpreis zusammenwirken, und welcher Wohnungsaufwand oder Mietwert daraus entsteht, darüber sind in jüngster Zeit mehrere Untersuchungen gepflogen. Aus diesem Material lassen sich dann sicherer, als es bislang oft nur nach dem Gefühl oder gar mit tendenziöser Färbung geschehen, Urteile in der Wohnungsfrage gewinnen, von welchen die wichtigeren nunmehr angeführt werden mögen.

Das in erster Linie stehende Einfamilienhaus, „mein Haus, meine Burg“, ist nur bei niedrigen Bodenpreisen erreichbar. Deshalb bleibt auch das sogenannte Bürgerhaus mit 2–4, höchstens 6 Wohnungen Bedürfnis. Vom 3stöckigen Hause zum 4- und 5stöckigen nehmen die Wohnungskosten bei niedrigen und mittleren Bodenwerten nur wenig ab. Diese Verbilligung dürfte unwichtig sein gegenüber den gesundheitlichen und sittlichen Vorzügen eines niedrigeren und weniger bevölkerten Hauses. Deshalb erscheint es zulässig, in äußeren Stadtteilen und in mittleren Orten die Höchstzahl der Geschosse auf 2 oder 3 anzusetzen und Mietkasernen auszuschließen. Wo der Bodenpreis aber schon auf etwa 30 M. und darüber steht und zu starker Ausnutzung zwingt, muß man allerdings höher aufsteigende Sammelwohnstätten zulassen und nur Übertreibungen und Schädlichkeiten durch Einschränkung der Zahl der Wohnungen pro Haus und durch Vorschriften für das Innere möglichst fernhalten.

Sehr rasch wachsen die Wohnungskosten mit den Bodenpreisen. Die Wohnungsfrage ist hauptsächlich eine Bodenfrage. Sie ist dies um so mehr, als die Bodenpreise im Umkreis einer Stadt nicht bloß der natürlichen Ertragszunahme von Ackerland zu Bauland folgen, sondern gewöhnlich den Gegenstand des Handels und der Spekulation bilden. Nun bringt ja dies Bodengeschäft Nutzen für die Stadterweiterung durch frühzeitige geordnete Einteilung von Bauplätzen und hat deshalb Anspruch auf einen gewissen Gewinn. Aber solche Gewinne sind den Besitzern und Zwischenhändlern oft mühelos und in ganz übertriebenem Grade zugefallen, sie werden durch Zurückhaltung des Landes und andere Kunstgriffe in gemeinschädlicher Weise zu steigern versucht, und sie verteuern die Wohnungen bis zum Doppelten und Dreifachen. Dementgegen lassen sich durch einschränkende Bestimmungen über die Geschoßzahl, über Baudichtigkeit überhaupt die Bodenpreise an weiterem übermäßigem Steigen hemmen, während die Rückwirkung auf bereits bestehende Verhältnisse allerdings nur eine beschränkte sein kann. Eine zweckmäßige Bauordnung vermag daher sowohl hygienische, als auch wirtschaftliche Vorteile für die künftigen Bewohner zu erzielen.

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1529. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/400&oldid=- (Version vom 10.12.2016)