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Überschuß der Verringerung der Mieten oder der Herstellung von allgemeinen Wohlfahrtseinrichtungen zugute kommt. Es haben sich auch noch andere Rechtsformen ausgebildet, um mit Gemeindeland die Wohnungsfrage zu fördern, nämlich Verkauf mit Wiederkaufsrecht, Abgabe als Rentengut, Verpachtung besonders bei sog. Schreber- oder Familiengärten, Bestellung von Erbbaurecht.

Zu den vorstehenden Maßregeln der Bodenpolitik haben sich die Staatsverwaltungen bisher selten verstanden, sondern in der Regel den fiskalischen und spekulativen Standpunkt eingehalten, z. B. Waldungen bei Berlin, Tempelhofer Feld, Hardtwald bei Karlsruhe. Schöner hat sich der Staat auf einem anderen Wege der Wohnungsreform beteiligt, nämlich durch den ausgedehnten Bau von Dienstwohnungen für Arbeiter und niedere Beamte, beim Reich hauptsächlich im Bereich der Post, bei den Einzelstaaten im Eisenbahnbetrieb und Bergbau, bei den Gemeinden in allerlei Dienstzweigen. Ferner haben viele Gemeinden, um der Wohnungsnot abzuhelfen, Wohnungen zum allgemeinen Gebrauch gebaut. Die Hergabe an einzelne ist dann zuweilen durch Verkauf zu freiem Eigentum erfolgt, hat sich aber nicht bewährt (Mülhausen), oder es wurde mit Wiederkaufsrecht verkauft (Ulmer System), oder endlich die Häuser wurden vermietet unter angemessener Sicherheit gegen Mietsteigerung und Kündigung (Freiburg).

Ein weiteres Mittel zur Beschaffung von Wohnungen besteht in der Unterstützung von Baugesellschaften. Derartige Unternehmungen haben sich in den letzten Jahrzehnten zahlreich aufgetan, jetzt bestehen über 1200 mit einer Leistung von ca. 15 000 Häusern. Es sind hierbei die Pflichten der Genossen gegen die von der Gemeinde gewährten Vorteile sorgfältig abzuwägen. Erstere können sich beziehen auf die Beschaffenheit der Häuser und auf die Formen der Vermietung, letztere auf billige Hergabe von Gemeindeland, Verminderung der Gebühren für Straßenbau, Wasser, Elektrizität, auf die Herleihung von Baugeldern zu günstigen Bedingungen, auf die Übernahme von Geschäftsanteilen.

An dieser Stelle sei auch den Gartenstädten ein kurzes Wort gewidmet. Diese planmäßigen Ansiedlungen auf billigem Gelände, welches im Obereigentum der Gesellschaft bleibt, in Kleinhäusern mit Gärten, welche die außerberufliche Arbeitskraft einer Familie verwerten, schaffen billige Wohnungen und gesunde Daseinsbedingungen. Es ist das Verdienst der 1902 gegründeten deutschen Gartenstadtgesellschaft, dazu vielerorts auf zweckmäßiger wirtschaftlicher Grundlage angeregt zu haben. Die Gartenstädte ergeben nicht nur ein gutes Stück Wohnungsreform, sondern auch ein erfreuliches soziales Gebilde, ein Gemeinschaftsleben zwischen verschiedenen Klassen, wie es durch die Zusammendrängung in Mietkasernen niemals entsteht.

Bis jetzt hat die Tätigkeit von Baugenossenschaften und Gartenstadtgesellschaften nur für etwa 1½ % des Wohnungsbedarfs der wachsenden Bevölkerung ausgereicht. Wertvoll aber bleibt die Rückwirkung auf die sonstigen, vom privaten Baugewerbe hergestellten Wohnungen in Güte und Preis. In diesem Sinne ist auch die öfter getadelte Schädigung des Baugewerbes durch Konkurrenz der gemeinnützigen Bautätigkeit nicht zu fürchten. Solange im Wohnungswesen noch so furchtbare Notstände bestehen, ist nach der heute vorherrschenden Überzeugung das Eingreifen von Reich, Staat und Gemeinde

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1531. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/402&oldid=- (Version vom 10.12.2016)