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haben damals ihre selbständige Lebensfähigkeit erwiesen, besonders die Wassermalerei, da ihr durch die englischen Farben ein wesentlich besseres und breiteres Fundament bereitet wurde. Die Aquarelltechnik, die längst von den Künstlern bevorzugt war, um besonders interessante Farben und Formeindrücke schnell vor der Natur festzuhalten, gliederte sich also dem Bestreben der Freilichtmalerei unmittelbar an. Die Lichtfreudigkeit war derartig gesteigert worden, daß sie sich sogar die Graphik, die zeichnenden Künste, unterwarf. Im Jahre 1887 wurde in Berlin der Verein für Originalradierung begründet, und schon 1889 war es jedermann klar, daß die malerisch wirkende Radierung die Führung unter den Griffelkünsten besitze. Im Jahre 1892 brachte eine Ausstellung der farbigen Kupferstiche den Wunsch nach Erneuerung dieser bedeutsamen Technik (bzw. der farbigen Radierung), und seit 1893 wurde die Lithographie (zunächst von der Federzeichnung aus) ebenfalls weiter entwickelt. Die Ausbildung des Steindruckes erfolgte dann besonders unter dem Einflusse des großflächig kolorierten altdeutschen und japanischen Holzschnittes und des modernen französischen Plakats. Die farbige Lithographie erkannte man, eigne sich ganz besonders zu einer abgekürzten Wiedergabe der Erscheinungen der Umwelt. Die einfache und zusammenhaltende Tönung entspricht überdies einer technischen Grundforderung. In der Lithographie erstand der farbenzerlegenden Eindruckmalerei, wie wir sehen werden, ein weitgreifender Gegner. Die in diesen schlichten Künstlerlithographien beschlossene starke Empfindung und ernste Kraft wurde bereits 1900 in London rückhaltlos anerkannt. Der erzieherische Wert dieser Kunstblätter ruht nicht zum mindesten in der Tatsache, daß sie billig herstellbar sind, und deshalb ein sehr beliebter Wandschmuck in den Häusern der weniger bemittelten Bevölkerungsschicht werden können.

Erneute Betonung der Farbe.

Seit dem Beginn der neunziger Jahre ist auch der Holzschnitt zu neuem Dasein erweckt. Der zunächst nur leicht moderne Einschlag wurde konsequent weiterentwickelt, so daß bereits ca. 1896 Abdrücke von stark impressionistischer, erstaunlicher Lichtkraft in gewaltiger Zusammenfassung und von tiefer Beseelung dargeboten wurden. Diese Wirkung wird technisch hervorgerufen durch eine Vereinigung des Schemas der Grenzlinie und der Tonschatten. Schwarz und weiß stellen sich in prachtvoller Vereinfachung in breiten Massen einander gegenüber. Seit kurzem feiert aber auch die Farbe in Holzschnittblättern ihre Triumphe, in flächiger Behandlung oder in diffizilster Abwägung der farbigen Lichtwerte. Seit ca. 1896 ist ferner ein neuartiger Illustrationsstil im Entstehen, der auf der mehr oder weniger karikierenden Schilderung des Tuns und Treibens im modernen Alltag beruht. Unter Einwirkung der japanischen Zeichenkunst und des impressionistischen Sehens des Milieus wird die Form charakteristisch hervorgehoben, das Wesentliche mit der einfachen Schwarzweißwirkung oder in farbigen Drucken, die, nach allgemeiner Übereinstimmung, in ihrer Vollendung einzig dastehen, darzustellen unternommen. In ungefähr 25 Jahren hat sich also die Griffelkunst von der Stellung einer dienenden Kunst zu voller Selbständigkeit emporgearbeitet. Jede Provinz der Schneide- und Zeichenkunst besitzt heute ihre Führer. Diese Feststellung allein, daß die Graphik an Originalarbeiten so reich ist, darf uns mit freudiger Genugtuung erfüllen; denn dies ist nur dann

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1581. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/452&oldid=- (Version vom 27.9.2022)