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Theater
Geh. Reg.-Rat Dr. Ludwig Geiger, Professor an der Universität Berlin


Für das Theater bedeutet die Zeit von 1888–1913 eine Epoche großer Entwicklung. Sie erfolgt nur teilweise unter Förderung des Kaisers, der allerdings die prächtige Ausstattung von Opern und Festspielen begünstigte, der literarischen Produktion jedoch eher zögernd folgt als tatkräftig vorangeht.

Neue Schauspielkunst.

Eine neue Schauspielkunst rang sich in den letzten Jahrzehnten durch, die auf den königlichen Theatern am wenigsten heimisch geworden ist. Diese neue Kunst zeigte sich teils in der Inszenierung, teils in der Sprechweise. Sie ging von den Meiningern aus, wurde aber durch selbständige Künstler, durch den neuen Aufschwung der Kunst begünstigt; Max Reinhardt darf hier als der unbestritten größte bezeichnet werden, der wunderbare Bühnenbilder schuf. Diese neue Inszenierung kam nicht bloß modernen Stücken zustatten. Vielmehr wurden dadurch Dramen der Alten und der Klassiker dem Verständnis der Modernen erst wieder nahegeführt. Zur Erhärtung dieses Satzes brauchen nur Schillers „Räuber“ oder Shakespeares „Sommernachtstraum“ angeführt zu werden, die auch hervorragende schauspielerische Leistungen vermittelten oder an die schauspielerisch nicht eben glückliche Darstellung von Tragödien des Sophokles oder an die dichterisch minderwertige Erneuerung des Reformationsstückes „Jedermann“ (in der Bearbeitung von Hoffmannsthal). Und auch in allerneuester Zeit strömen hier die Beispiele entgegen: der von Gerhart Hauptmann inszenierte „Wilhelm Tell“ bei der Eröffnung des Deutschen Künstlertheaters (16. September 1913) und die von Reinhardt gebotene Vorführung von Goethes „Tasso“ (Ende September) waren wirkliche Wiederbelebungen, die erstere freilich nur nach der szenischen Seite, da die Schauspielerstückchen der Mimen, die gewaltsamen Verkürzungen des Textes und willkürliche Auslassungen den klassisch gebildeten Hörer verbitterten; das letztere aber eine große künstlerische Neuschöpfung, die alle dichterischen und dramatischen Wirkungen aus dem Stücke herausholte.

Umwandlung der Sprachweise.

Während diese Kunst der Inszenierung etwas ganz Neues gewährte, ist die Umwandlung der Sprechweise: die Einführung der naturalistischen an Stelle der deklamatorischen, im Grunde etwas Altes. Was daran neu ist: die Abkehr des Schauspielers vom Publikum, so daß dieses häufig deren Rückansicht zu schauen hat, das übermäßig leise Sprechen, so

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1623. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/494&oldid=- (Version vom 20.8.2021)