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Recht, nur an die Kritik, die sie oft mit ätzender Schärfe und in verletzender Form an Menschen, Zuständen und Maßregeln üben und an die Opposition, die darin steckt, und hält sie darum für besonders gefährlich. Daß der von ihrer Lauge oder ihrer Narrenpritsche Getroffene mitlacht, das kann man höchstens von einem Sokrates erwarten, der sich in den Wolken des Aristophanes über seine eigene Karikatur belustigt freut. Und bei den anderen, den Nichtgetroffenen ist es vielfach nur boshafte Schadenfreude über die Hiebe, die hier ausgeteilt werden. Es kann aber auch noch etwas anderes und soll etwas Besseres sein auch hier: – die befreiende Wirkung, die vom Komischen, Witzigen, Grotesken, Karikierten ausgeht. Ein Hochstehender, ein großer Mann drückt und droht zu erdrücken: das macht ihm nicht lauter Freunde, sondern zieht ihm auch vielfach Abneigung zu und Neid und Haß. Da tut es gut, ihn auch einmal im Spiegel des Witzes anders, unter sich zu sehen und über ihn lachen zu dürfen. Lachen macht frei, und so werden wir durch den Witz befreit von dem Gefühl des Drückenden und Erdrückenden, der eigenen Kleinheit und Inferiorität, weil wir uns einen Augenblick über den Großen stellen und ihn auslachen dürfen. Oder ein Regierungserlaß ärgert und verstimmt uns: nun wird er in einem Witzblatt verhöhnt, von seiner schwachen, vielleicht törichten Seite gezeigt, und so merken wir, daß man sich auch in lustiger Weise mit ihm abfinden kann, daß wir uns nicht zu ärgern brauchen, weil wir uns über seine komische Seite freuen können. Das ist die Katharsis als Wirkung der Witzblätter, die uns von Furcht und Mitleid, vom Gefühl der Demütigung und von aller sonstigen Verstimmung reinigt und freimacht. Wer dagegen unmittelbar, nachdem er ein Witzblatt gelesen hat, über die Menschen und Dinge, die darin verhöhnt und verspottet werden, weiter schimpft, an dem ist Hopfen und Malz des Witzes verloren, der ist ein humorloser Geselle.

Freiheit der Presse.

Um aber der Ausdruck der öffentlichen Meinung sein und auf das öffentliche Leben wirken zu können, muß die Presse frei sein. Es ist für das deutsche Volk als Volk der Denker und der Dichter überaus bezeichnend, daß unter den freiheitlichen Forderungen des Jahres 1848 die der Preßfreiheit immer obenan zu stehen pflegte. Nur als freie kann die Presse wirken. Daher muß sie ihre Meinung offen heraus sagen und ihre Kritik unbehindert üben dürfen; sonst hat sie ebensowenig Wert wie ein Professor, der auf dem Katheder seine Lehre nicht frei vortragen, der nicht profiteri darf, wovon er innerlich überzeugt ist. Nur wenn wir wissen, daß die Blätter frei reden dürfen, können wir Vertrauen haben zu dem, was sie sagen, und ihnen Glauben schenken für das, was sie berichten. So ist die Preßfreiheit mit Recht gefordert und erfreulicherweise erkämpft worden, die Zensur ist abgeschafft, die nicht bloß das Hochkommen der Presse verhindert, sondern auch dadurch korrumpierend gewirkt hat, daß durch sie und als Waffe gegen sie jener gefährliche Stil des Anspielens, des Augenzwinkerns und des Halbsagens aufgekommen war, ein giftiger Stil, der den Charakter verdarb und die Sitten des Volkes übel beeinflußte; heute ist das nicht mehr notwendig; darum ist, wer so schreibt, entweder ein Feigling oder ein aus böser Lust mit vergifteten Waffen Kämpfender: Hic niger est, hunc tu, Romane, caveto!

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1667. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/538&oldid=- (Version vom 12.12.2020)