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Studenten ein für unser Volk im ganzen höchst wertvolles Recht, geradezu die conditio sine qua non für den Geist der Wahrhaftigkeit und seine Verbreitung unter uns zu sehen hat. Im Innern sind die Universitäten immer noch so etwas wie das Gewissen des Volkes, und nach außen hängt das wissenschaftliche Ansehen Deutschlands mehr als in andern Ländern vom Stand seiner Universitäten ab: auf diesem Ansehen ruht unsere geistige Machtstellung in allererster Linie mit. Die Blüte unserer Hochschulen aber ist bedingt und allein sichergestellt durch die absolute Freiheit der Forschung, die nicht etwa bloß im Interesse der Professoren und ihrer Arbeit, sondern im Interesse von Volk und Reich im ganzen aufrecht erhalten werden muß gegen jede Anfechtung und um jeden Preis. Die Aufregung wegen des päpstlichen Motu proprio vom 1. September 1910 über den Eid wider den Modernismus und die daran sich anschließenden Verhandlungen in Parlament, Presse und öffentlichen Versammlungen über das Schicksal der katholisch-theologischen Fakultäten haben gezeigt, wie eng diese kirchliche Frage mit dem Verhältnis der Universitäten zum Staat und noch allgemeiner mit dem von Kirche und Staat überhaupt zusammenhängt.

Konfessionelle Vereinsbildung.

Und auch bei den Studenten sehen wir Universität und Konfession miteinander sich verbinden und verschlingen. In einem konfessionell so stark gemischten Land und Volk wie dem deutschen ist für den notwendigen Modus vivendi das Prinzip der Simultaneität das einzig richtige: das gilt für Gewerkschaften und Schulen und gilt in allererster Linie auch für die universitas magistrorum et scholarium. Von diesem Gedanken aus ist das Aufkommen zahlreicher konfessioneller Studentenkorporationen wenig erfreulich, entspricht aber dem allgemeinen Zug einer streng durchgeführten konfessionellen Scheidung auf allen Gebieten und bildet nur ein Glied mehr in der großen, unser öffentliches Leben so stark beeinflussenden konfessionellen Vereinsbildung überhaupt. Als das umfassendste Gebilde ist hier der seit 1890 bestehende Volksverein für das katholische Deutschland zu nennen, der heute 776 000 Mitglieder zählt und alljährlich auf den Katholikentagen Parade abhält über seine Getreuen und die Losung ausgibt für die Arbeit und die in Angriff zu nehmenden Aufgaben des kommenden Jahres. Er ist nicht politisch und wirkt doch durch die taktisch geschickte Inszenierung und die Wucht seiner Masse wie eine große politische Macht und Machtentfaltung. Mehr der Abwehr dient der Evangelische Bund, der aber bei weitem nicht dieselbe Verbreitung in der Laienwelt hat, auch nicht so geschlossen und von allen Richtungen des Protestantismus anerkannt ist, wie auf katholischer Seite der Volksverein. Selbstverständlich tragen zwei so gerüstet und kampfbereit einander gegenüberstehende Verbände von verschiedener Konfession weniger zu Ausgleich und Beilegung, als zur Vermehrung des konfessionellen Haders bei, und dazu nimmt auch noch die Polemik in der spezifisch konfessionellen Presse vielfach recht unschöne Formen an. Daß auch die Missionsvereine konfessionell geschieden sind, versteht sich dagegen von selbst; und gerade sie haben neben der kirchlichen auch eine große nationale Bedeutung dadurch, daß und soweit sie ihre Hauptarbeitsgebiete in unsere deutschen Kolonien verlegen und da zum Auf- und Ausbau derselben und zur Kultivierung ihrer

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1679. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/550&oldid=- (Version vom 12.12.2020)