Seite:Deutschland unter Kaiser Wilhelm II Band 3.pdf/559

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Schule für die jungen Menschen selbst so etwas wie ein Staat im kleinen ist und durch das Einleben des Schülers in seine Schule allerlei Tugenden und Anschauungen großgezogen werden, die sich später unmittelbar auf den Staat übertragen lassen, das sei als die Hauptsache hier wenigstens mit einem Wort erwähnt.

Freiwillige Jugendpflege.

Allein die Schule reicht nicht aus, sie kann nicht alles tun und machen. Daher ist eben jene freiwillige Jugendpflege als Ergänzung notwendig, die früher vielfach einseitig konfessionell gewesen ist und heute in das politische Fahrwasser zu geraten droht, statt daß man die Jugend einfach und ohne alle gegensätzlichen Nebenabsichten ihr Vaterland und ihre Heimat kennen lehrt und sie ihr lieb macht. Zu dieser Heimatkunde gehört freilich nicht bloß das Kennenlernen von Gegend und Stadt, von Land und Leuten, sondern auch das geistige Leben unseres Volks in seiner Geschichte und Literatur, in Kunst und kulturellen Leistungen überhaupt; auch deswegen muß der körperlichen Ertüchtigung der deutschen Jugend die geistige Weiterbildung als gleichberechtigt und gleich notwendig zur Seite treten und für sie Zeit und Kraft gelassen werden.

In diesem Sinn wird die Jugendpflege durch die Volksbildungsarbeit einfach fortgesetzt. Daß in dieser Arbeit viel öffentliches Leben steckt und dieses auf sie angewiesen ist und allen Wert auf sie legen muß, ist klar; auch die Arbeit der Presse gehört noch einmal hierher. Volksbildung will vor allem aufklären; und wenn man das achtzehnte Jahrhundert geradezu darnach benannt und als Aufklärungszeitalter bezeichnet hat, so sieht man schon daraus, wie wichtig für das ganze Leben und die ganze Beurteilung einer Nation diese Arbeit und der Stand der Volksbildung ist. Wir waren dabei freilich, wie schon gesagt, lange Zeit geneigt, zu intellektualistisch zu denken. Nach der Zahl der Analphabeten pflegt man das Bildungs- und Kulturniveau eines Volkes zu werten, und gewiß ist es für die wirtschaftliche und die politische Selbständigkeit eines Volkes wertvoll, daß alle lesen und schreiben können. Aber dabei dürfen wir den Schatz der Bildungstradition, wie ihn z. B. das an Analphabeten reiche Italien vor uns voraus hat, und mehr noch den überragenden Wert großer Einzelner nicht übersehen: was ein Mann kann wert sein, haben wir in der Geschichte unseres Volkes oft genug erfahren. Allein auf der andern Seite neigen wir heute schon wieder dem anderen Extrem zu, einer Unterschätzung des Intellektualismus, und wollen den sittlichen Wert, der in so einfachem Tun, wie dem Lesen eines guten Buches und in der Willensanspannung der Aufmerksamkeit auf seinen Inhalt steckt, und die geistbildende Kraft des Zwischen-den-Zeilen-lesens (intellectus von inter-legere) nicht sehen.

Kunst und Volk.

Doch sucht sich die Volksbildungsarbeit von solchen Einseitigkeiten freizumachen, sie beschränkt sich nicht mehr auf den Kopf allein, wenn der Weg über ihn gleich immer der nächste und ihr am meisten zugängliche bleiben wird. Sehen wir ab vom Religiösen mit seinem gefühlsmäßigen Ausgangspunkt, das wir den Kirchen zuweisen und ihnen mehr oder weniger vertrauensvoll überlassen können, so ist es auch die Kunst, für die wir das Volk gewinnen und zu deren

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1688. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/559&oldid=- (Version vom 12.12.2020)