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bringen lassen will, der muß alle Kraft aufbieten, um als einzelner zu bleiben und immer mehr zu werden, der er ist, eine Persönlichkeit, die sich neben dem Allgemeinen noch einige Sonderrechte vorbehält. Nur der Starke kann sich heutzutage ihm gegenüber behaupten und durchsetzen und sich aus der Rolle eines bloßen Atoms und Massenteilchens zur eigenen inneren und äußeren Selbständigkeit und zur Führerschaft über andere durch- und emporringen. Denn immer noch gilt auch im Zeitalter der Demokratie und des Staatssozialismus für Volk und Knecht und Überwinder das Goethewort:

Höchstes Glück der Erdenkinder
Sei nur die Persönlichkeit,

und der Goethetrost:

Alles könne man verlieren,
Wenn man bliebe, was man ist.

Darum ist es die große Gunst der Stunde, daß der, dessen Name an der Spitze dieses Werkes steht, daß Kaiser Wilhelm II., in dem sich als in der sichtbar monarchischen Spitze die Macht des öffentlichen Lebens unserer Nation verkörpert, zugleich eine so ausgesprochene Persönlichkeit mit stark ausgeprägten Eigenzügen ist. Als solcher beschäftigt der in den Mittelpunkt deutschen Lebens gestellte Fürst das Ausland aufs lebhafteste; für unser Volk aber, in dem das Monarchische so festgewurzelt ist, ist dieses ganz Persönliche wertvoll als Vorbild und Symbol zugleich. Wenn jeder, der im öffentlichen Leben steht und davon absorbiert zu werden fürchtet, in dieser entschiedenen Weise an dem Reservatrecht seiner Persönlichkeit festhält und sich nicht scheut, gelegentlich einmal auch seinen Kopf und sein Herz, seine Überzeugung und seinen Willen gegen die Allgemeinheit und ihre Organe oben und unten zu riskieren und zu behaupten, dann und nur dann kommen wir zu der gesuchten Synthese von Sozialismus und Individualismus, die wir für unser öffentliches Leben als den Weg zum sozialen Frieden und als Mittel zur Gewinnung von Führern für die Massen so notwendig brauchen. Das öffentliche Leben mit Persönlichkeit erfüllen, was wir als Organe der Öffentlichkeit zu tun und zu leisten haben, mit eigenem Geist und eigenen Gedanken, mit Herz und mit Charakter treiben, das bewahrt vor Mechanismus und Schablone und macht das öffentliche Leben erst zu einem Lebendigen und zu einem Reichen. Nur das wahrhaft Lebendige aber ist wert gelebt zu werden. Wir Deutsche sind nach langem Schlaf und schweren Träumen seit fünfzig Jahren zum Leben erwacht, alles um uns, unter uns und in uns ist lebendig geworden und atmet Leben: darum ist „Leben“ das Losungswort der Zeit, Lust am Leben und Wille zum Leben ihr innerster Nerv und ihre höchste Kraft.

Mit diesem Willen gehen wir aus einer reichen und bewegten Gegenwart getrost und mutig der Zukunft entgegen, als die da leben und wissen, daß das Lebendige fertig werden kann mit dem, was krank ist unter uns, und das Starke fertig werden kann mit dem, was Gefahr droht außer uns, gehen ihr entgegen mit dem sieghaften Ruf:

Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg?
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1693. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/564&oldid=- (Version vom 12.12.2020)