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deutschen Forscher aus der zweiten Hälfte des Jahrhunderts, Riemann und Weierstraß. Die Notwendigkeit der Strenge in der Beweisführung, die Weierstraß gefordert hatte, wurde in allen Gebieten der Analysis anerkannt. Sein Nachfolger H. A. Schwarz auf dem Lehrstuhl der Berliner Universität, der in seinen vor 1888 veröffentlichten Arbeiten Muster solcher Schärfe geliefert hatte, schult seine Schüler mit unermüdlichem Eifer in dieser Beziehung. In der Reihentheorie gab besonders A. Pringsheim den Ton an für die subtilsten Untersuchungen. Der Einfluß dieser strengen Richtung machte sich überall im Auslande geltend; doch müssen wir uns mit dieser Andeutung begnügen.

Schule von Riemann. Felix Klein.

In Riemannscher Weise mit einem Einschlage nach der Seite der formalen Algebra gingen Carl Neumann und Clebsch sowie des letzteren Freunde und Schüler Gordan, F. Klein, Brill, Noether und andere vor. Der klassische Bericht von Brill und Noether über die Entwicklung der Theorie der algebraischen Funktionen in älterer und neuerer Zeit (1894) ist ein Muster objektiver historischer Darstellung, die allen Forschungsmethoden gerecht wird. Der außerordentliche Einfluß, den F. Klein ausgeübt hat, tritt in den Veröffentlichungen seiner Universitätsvorlesungen zutage. Vollendete Durcharbeitung besitzen seine Vorlesungen über elliptische Modulfunktionen (2 Bände, 1890 u. 1892) und über die allgemeine Theorie der automorphen Funktionen (2 Bände, 1897 u. 1901–1911). In beiden Werken, besonders aber in dem zweiten hat der Bearbeiter R. Fricke durch selbständige Ergänzungen vorhandene Lücken ausgefüllt und für Abrundung des Ganzen Sorge getragen. In ähnlicher Weise ist das Werk über die Theorie des Kreisels entstanden (vier Teile, 1897–1910), von welchem A. Sommerfeld den letzten Teil überhaupt selbständig unter Heranziehung von Fr. Noether als Mitarbeiter verfaßt hat. Über den Kreis der unmittelbaren Zuhörer hinaus wirkte F. Klein durch die Verbreitung seiner autographierten Vorlesungshefte: Nichteuklidische Geometrie (2 Hefte, 1889/90). Höhere Geometrie (2 Hefte, 1892/93). Riemannsche Flächen (2 Hefte, 1891/92). Über die hypergeometrische Funktion (1893/94). Lineare Differentialgleichungen der zweiten Ordnung (1894). Ausgewählte Kapitel der Zahlentheorie (1895/96). Anwendung der Differential- und Integralrechnung auf Geometrie, eine Revision der Prinzipien (1901). Elementarmathematik vom höheren Standpunkte aus (2 Teile, 1908/09). Angesichts der Masse dieser Schriften müssen wir es uns versagen, die Anregungen zu charakterisieren, die von diesem vielseitigen, begnadigten, rührigen Lehrer und Forscher ausgegangen sind.

Variationsrechnung. Schule von Weierstraß.

Die nachhaltige Wirkung des Weierstraßschen Geistes in der zu behandelnden Zeit auf dem Gebiete der Funktionentheorie überall erkennbar, in keinem Zweige aber wohl deutlicher als in der Variationsrechnung, obschon die von Weierstraß hierüber gehaltenen Vorlesungen, die die alleinige Quelle für seine Theorie bilden, leider noch immer nicht herausgegeben sind. Im Sinne der Weierstraßschen Forderungen hat

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1228. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/99&oldid=- (Version vom 20.8.2021)