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Walther Kabel: Die Abnahme unserer Sinnesorgane (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 7)

Nicht anders steht es mit dem Gehör. Bei den Loa-Indianern im nördlichen Argentinien erlebte ich es verschiedentlich, daß die Leute lediglich aus dem Dröhnen des Bodens ziemlich genau die Zahl eines herangaloppierenden noch weit entfernten Reitertrupps feststellten, wo ich auch noch nicht einmal trotz des fest auf die Erde gedrückten Ohres ein Geräusch vernahm. Ähnliche Beispiele könnte ich in Menge anführen.

Am auffälligsten aber macht sich der Unterschied in der Schärfe der Sinnesorgane von Natur- und Kulturmensch bei der Nase bemerkbar. Der moderne, zivilisierte Mensch braucht nur noch das Gehör und das Gesicht. Der Geruchsinn gilt ihm nichts, da dessen Verlust keine erheblichen Beeinträchtigungen zur Folge hat. Wie anders der Wilde! Alexander v. Humboldt berichtet bereits, daß die peruanischen Indianer eine Fährte lediglich mit der Nase ebensogut wie Spürhunde verfolgen können. Der große deutsche Forscher hat nicht übertrieben, wovon ich mich häufiger überzeugen konnte.

Einmal gedachte ich an der Südgrenze von Venezuela eine Felshöhle zu erforschen, die sich anscheinend tief in das Innere eines Berges hineinzog. Meine beiden Begleiter, zwei Indianer, die notdürftig das Spanische radebrechten, hielten mich jedoch zurück. Nach langem Hin- und Herreden begriff ich endlich, was sie vor einem Betreten der Höhle warnte. Diese sollte, wie sie am Geruch, der dem Eingang entströmte, zu bemerken vorgaben, einem Puma als Zufluchtsstätte dienen. Um der Sache auf den Grund zu gehen, fertigten wir aus harzigen Rindenstücken eine Anzahl von einfachen Fackeln an und drangen dann bei ihrem Scheine in die Felsöffnung ein. Ich war fest überzeugt, daß meine Führer sich hinsichtlich des Pumas geirrt haben müßten, denn vor der Höhle hatte ich auch nicht die kleinste Spur einer Raubtierfährte entdeckt.

Und doch behielten die Indianer recht. Nachdem wir etwa dreihundert Schritte gegangen waren, teilte sich der ziemlich unbequeme Felsgang. Ein schmälerer Seitenast führte in spitzem Winkel ziemlich steil nach unten. Kaum waren wir in diesem neuen Gange etwa hundertundfünfzig Schritte vorgedrungen, als meine Begleiter ängstlich stehen blieben und mich

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Die Abnahme unserer Sinnesorgane (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 7). Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1915, Seite 230. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Abnahme_unserer_Sinnesorgane.pdf/3&oldid=- (Version vom 31.7.2018)