Seite:Die Anfänge des musikalischen Journalismus Seite 35.jpg

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654). Diese ästhetische Forderung, welche die Schweizer und Gottsched an die Dichtkunst stellten, wurde in ihrer Übertragung auf die Musik bis gegen Ende des 18. Jahrhunderts gedankenlos nachgesprochen und auf die seichteste Weise kommentiert, ohne dass der musikalischen Ästhetik daraus ein sonderlicher Fortschritt erwachsen wäre. Scheibe beschränkte den Satz für die Musik auf Nachahmung der Natur der menschlichen Leidenschaften, und um diese kennen zu lernen, forderte er auch vom Komponisten das Studium der Philosophie (S. 33). Er meinte jedoch keineswegs, dass durch grosse wissenschaftliche Vorkenntnisse jemand schon ein Komponist werden könne, er betonte wiederholt, dass das Talent angeboren sein müsse, und dass sich eine „feurige und erhabene Erfindung“ nicht aus Regeln lernen lasse (S. 87).

Scheibes Verdienste erstreckten sich auch auf den Ausbau der musikalischen Formen. Ausser der Oper zog er nach und nach die Messen, Motetten, Kantaten, Oratorien, Kammermusiken etc. in den Kreis seiner Betrachtungen und gab bei deren Besprechung lehrreiche Fingerzeige für den Komponisten. Im 64. Stücke bespricht er die Formen von Oden und Liedern und verlangt, dass sich der Komponist ganz nach dem Dichter richte. Er solle einfach und natürlich alle Strophen in gleicher Form schreiben, wo die Stimmung der Gedichte durchweg dieselbe bleibe; wo aber die Affekte wechselten, solle er dem Dichter durch neue musikalische Weisen und Wendungen gerecht werden.

Von dem weiteren Inhalt dieser für die musikalische Entwickelung so wichtigen Zeitschrift sei noch erwähnt, dass Scheibe hier zum erstenmal ganz bestimmt nachweist, dass die griechische Musik keine Harmonie in unserem Sinne gekannt habe (S. 136).

In der Polemik war auch er gefährlich wie Mattheson, man kann es daher dem guten Mizler, nachdem er einmal von Scheibe lächerlich gemacht war, nicht verdenken, wenn er sich hinter sein Versprechen verkroch, hinfort nicht mehr auf die „stachlichte“ Schreibart des Crit. mus. zu reagieren.

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