Seite:Die Angriffe der Dämonen auf den Einsiedler Antonius 820.png

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der schreckhaften Phantasmen und der Volksanschauung von denselben. Es handelt sich um die gleichen Symptome, nur die Erklärung derselben ist eine geradezu entgegengesetzte. Der Volksglaube sieht Dämonenwerk, wo die Heilkunde eine einfachere natürliche Erklärung zu geben weiß. Wenn ähnlich wie Tatian auch Athenagoras und der Einsiedler Antonius den Dämonen eine außerordentlich komplizierte Vermittlerrolle zur Objektivierung der Phantasiegebilde zuschreiben, während die neuere Psychologie die gleichen Vorgänge als Halluzinationen einfach zu erklären imstande ist, so werden wir die Ansicht des Einsiedlers seiner Zeit zugute halten, sie aber neben unseren heutigen Erkenntnissen nicht mehr als richtig gelten lassen.

     Auf Grund der vorangehenden naturwissenschaftlichen und religions- bezw. kulturgeschichtlichen Erörterungen dürfen wir den dämonologischen Erfahrungen des Antonius den wissenschaftlichen Ausdruck: Halluzinationen auf der Grundlage von Dämonophobien und Zwangsgedanken geben. Indes ich höre einen Einwand, welcher im Munde eines religiösen Katholiken durchaus verständlich und an sich berechtigt ist. „Soll man vielleicht dem Psychiater oder dem Historiker das letzte Wort lassen, wo doch die Überzeugung des Heiligen selbst mit so vielen Fasern in seinem erleuchteten religiösen Denken wurzelt?“ Ohne Zweifel kann das Urteil des Psychiaters, wie wir später sehen werden, nur für eine Seite des Lebens und zwar gerade für die, welche uns jetzt beschäftigt, in Betracht kommen. Anderseits stimme ich gerne bei, daß auch die Theologie zu dem Dämonentrug der vita Antonii Stellung nehme.[1] Sind denn die Plagedämonen des Einsiedlers identisch mit den gefallenen Geistern, von denen die Theologie redet? Diese kennt nur immaterielle Wesen, Antonius spricht nur von ätherischen, deren luftartiger Leib mit großer Schnelligkeit räumliche Entfernungen überwindet und die Möglichkeit zu immer wechselnden Scheingestalten und Trugbildern bietet. Gegenüber den reinen Geistwesen der Theologie erscheinen und wirken die Dämonen des Antonius gespensterhaft. – Ferner ist nach theologischer Lehre das Bestreben der gefallenen Geister in erster Linie darauf gerichtet, dem Menschen ethische Versuchungen zu bereiten und ihn in Sünden zu verstricken. Man traut aber seinen Augen kaum, wenn man unter diesem Gesichtspunkte die vita Antonii liest. Gewiß finden sich dort einige kümmerliche Andeutungen über Versuchungen zu irdischem Sinne und zu sexuellen Sünden. Aber man vergißt sie, wenn man Seite für Seite immer nur von neuen Schreckbildern und Schikanen durch die Quälgeister liest, die des Charakters ethischer Versuchungen gänzlich entbehren. Die starken seelischen Depressionen, in denen Widerwille gegen das aszetische Leben auftrat, waren natürliche Folgen der Phobien und der nervösen Erschöpfung, deren Wirkung durch die Phantasmen und Stimmen nur verstärkt wurde. Man kann sagen, die Dämonen der


  1. Bei einer solchen theologischen Beurteilung der Dämonologie des Einsiedlers ist m. E. die Glaubenslehre von dem geistigen, d. h. immateriellen Charakter der Engelwelt zugrunde zu legen, selbst wenn die Behauptung Turmels (Hist. de l’angélologie, Revue d’hist. et de litt. rel. III 295, Paris 1898) in vollem Umfange zuträfe, daß man dem Teufel in den ersten fünf Jahrhunderten einen subtilen Leib zugeschrieben habe. Die Annahme, daß erst allmählich unter dem Einfluß vertieften philosophischen Denkens die Unklarheit, welche dem Begriff des πνεῦμα im Altertum noch anhaftete, überwunden wurde und daß damit erst die immaterielle Daseinsweise der Engelwelt, deren Existenz und Willensrichtung die Glaubensquellen klar bezeugen, von aller Zutat frei erscheint, dürfte keine ernstlichen dogmatischen Schwierigkeiten in sich schließen.
Empfohlene Zitierweise:
Joseph Stoffels: Die Angriffe der Dämonen auf den Einsiedler Antonius. Ferdiand Schöningh, Paderborn 1910, Seite 820. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Angriffe_der_D%C3%A4monen_auf_den_Einsiedler_Antonius_820.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)