Seite:Die Angriffe der Dämonen auf den Einsiedler Antonius 827.png

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Ring und Finger. Dort sah und empfand er die Feder, bis sie am Ende der Straße zugleich mit der Dame verschwand.[1] Das plötzliche Verschwinden Satans bei seinen Begegnungen mit Antonius ist ein Anzeichen dafür, daß es sich auch in diesen Fällen um Sinnestäuschungen kombinierter Art gehandelt hat.

     Die Untersuchung hat ergeben, daß die vermeintlichen Angriffe der Dämonen auf den Einsiedler Antonius auf „Sinnestäuschungen“ beruhen. Diese Tatsache ist hier vielleicht nicht zum ersten Male ausgesprochen. Sie mag schon früher auf Grund eines flüchtigen Überblickes über die Symptome von der neueren Psychiatrie vertreten worden sein. Die vorliegende Studie aber ruht auf einer bisher unbeachteten und zugleich unerschütterlichen Basis, auf dem ganz klaren Selbstzeugnis des Antonius, daß die dämonologischen Phänomene nicht aus einer anderen Welt stammen, sondern in seiner erregten Phantasie ihren Ursprung haben. Erst als ich den subjektiven Charakter jener Dämonenplage erkannt hatte, habe ich mich zu einer näheren Untersuchung entschlossen. Da zeigte sich dann ganz deutlich, daß Antonius unter dem Einflusse der zeitgenössischen Dämonenfurcht und auf Grund physiologischer Ursachen unter Phobien und Zwangsgedanken dämonologischen Inhalts litt. Nun glaubte der Einsiedler zwar, daß die Dämonen in einer umständlichen Vermittlerrolle die Gebilde seiner erregten Phantasie vor seinen Sinnesorganen objektivierten. Diese Annahme entsprach durchaus der damaligen Volksanschauung, aber sie litt nicht weniger unter naturwissenschaftlichen als unter theologischen Ungereimtheiten. Sie war eine unvollkommene und unrichtige Art, die in Rede stehenden Phänomene zu erklären, die sich voll und ganz als dasjenige ausweisen, was die neuere Psychologie mit den Worten Halluzination und Illusion bezeichnet. Der Aufbau unseres Beweisganges gibt, so scheint mir, dem Ergebnis die denkbar größte Gewißheit.

     Von der Untersuchung waren ihrem Zweck und Thema entsprechend ausgeschlossen die visionären Ekstasen des Heiligen (c. 60, 65, 66), die Austreibung der Dämonen aus Besessenen sowie die wunderbaren Krankenheilungen, welche die vita Antonii berichtet. Ein sicheres Urteil in diesen Fragen ist heute außerordentlich erschwert. Der Forscher, welcher den unzweifelhaft wunderbaren Charakter sowohl der Ekstasen als auch der Wirksamkeit des Heiligen nachweisen will, muß zunächst eine scharfe und sichere Grenzlinie gegenüber analogen Erscheinungen in der Heidenwelt ziehen. Der Inhalt der Ekstasen berührt sich mit den Vorstellungen von der Himmelsreise der Seele, wie sie im Gnostizismus aus verschiedenen orientalischen Religionen zusammenströmten. Die Untersuchung über die von Antonius vollzogenen Dämonenaustreibungen müßte das einschlägige Quellenmaterial aus dem heidnischen und christlichen Altertum, welches Tambornino jüngst wenigstens für das griechische und lateinische Sprachgebiet gesammelt hat, in Rücksicht ziehen. Hinsichtlich der Krankenheilungen muß der Beweis erbracht werden, daß unser Bericht von dem Einfluß der in Ägypten beliebten aretologischen Literaturgattung, den hellenistischen Wundererzählungen, frei ist. In der späteren Mönchsliteratur sind jedenfalls Spuren jener Aretologie nachweisbar.

     So erhebt unsere Studie nicht den Anspruch, alle außerordentlichen Vorgänge aus dem Leben des Heiligen in ihren Bereich zu ziehen, noch viel


  1. Kurzgefaßter Leitfaden der Psychiatrie, Ravensburg 1889, S. 24.
Empfohlene Zitierweise:
Joseph Stoffels: Die Angriffe der Dämonen auf den Einsiedler Antonius. Ferdiand Schöningh, Paderborn 1910, Seite 827. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Angriffe_der_D%C3%A4monen_auf_den_Einsiedler_Antonius_827.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)