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Walther Kabel: Die Aschenurne. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1911, Bd. 8, S. 180–188

monotonen Geräusch der rollenden Räder eine weiche, übermütige Frauenstimme, fortwährend dieselben Verschen hörte, die die Tote so oft in strahlender Seligkeit wie eine Jubelhymne auf ihr Eheglück leise gesungen hatte:

Ich und du, wir sind so arm
Wie die Kirchenmäuschen,
Unser ist kein Eigentum
Als ein Knusperhäuschen.

Ich und du, wir sind so reich,
Das ist gar nicht schicklich,
Denn wir sind so unverschämt
übermenschlich glücklich …

Das war nun alles vorbei, alles!

Klopfenden Herzens, mit bangem Angstgefühl stieg ich die zwei Treppen zu meinem armen Freundes Wohnung empor. Das schrillen der Flurglocke ließ mich nervös zusammenzucken.

Das Mädchen öffnete. Es hatte verweinte Augen. Und bei meinem Anblick begann sie wieder leise zu schluchzen.

Wer hatte Ellinor wohl nicht geliebt!

Erich war gefaßter, als ich gedacht hatte. Nur in seinen Augen lag ein Ausdruck, daß sich mir die Kehle zusammenschnürte in wildem Weh. Dann sprach er von den letzten Tagen, dem furchtbaren Todeskampf. Sie hatte ja nicht sterben wollen, hatte sich an den alten Sanitätsrat angeklammert und keuchend immer wieder gefleht: „Retten Sie mich, retten Sie mich doch! Wir sind ja so glücklich!“

Und als Erich diese Worte mir kaum vernehmlich wiederholte, da habe ich mich in die Ecke des hohen Paneelsofas geworfen und geweint, herzzerbrechend geweint.

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Die Aschenurne. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1911, Bd. 8, S. 180–188. Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1911, Seite 182. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Aschenurne.pdf/4&oldid=- (Version vom 31.7.2018)