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den Schiffen sind gewöhnlich von rechtwinkligem Querschnitt, schwer und nackt, manchmal von Vorsprüngen begleitet oder von vier Halbsäulen, wie im Schiff von S.-Germain des Prés zu Paris. Die Bögen über diesen Pfeilern sind ebenfalls im Querschnitt einfach viereckig, manchmal mit einem rechtwinkligen Einsatz. Die Mittelschiffe sind mit Holzdecken versehen, häufig auch die Seitenschiffe. — Dieselbe Anordnung findet man am Rhein, so sind in Köln fast sämtliche Kirchen aus jener Zeit Pfeilerbasiliken mit Holzdecken im Mittelschiff: so das Langschiff von Gross St. Martin, St. Maria im Capitol, St. Ursula (letztere mit Emporen), St. Kunibert, St. Aposteln, St. Pantaleon und St. Cäcilien.

     Weiter im Osten in den sächsischen Landen wiegt die Säulenbasilika vor, so St. Michael und St. Godehard zu Hildesheim, die Klosterkirchen zu Paulinzelle, Hersfeld und Hamersleben.

     In Deutschland fand man beim Ueberwölben der Umgänge um die runden Chöre anscheinend keine grösseren Schwierigkeiten als das Ueberwölben der Seitenschiffe bot. Denn, wo wie in St. Maria im Capitol zu Köln und in St. Godehard zu Hildesheim solche gewölbten Umgänge vorkommen, sind die rippenlosen Kreuzgewölbe in vollständig richtiger und wohlverstandener Anordnung ausge­führt. Es lag somit ein Bedürfnis zu neuen Kon­struktionen anscheinend nicht vor, wohl weil die Ab­messungen der Ringgewölbe klein und ihre Unter­ansichten verputzt waren, so dass sich ihre mangel­hafte Herstellung an dem unregelmässigen Gefüge der Gewölbequadern nicht zeigte. In Nordfrankreich dagegen beginnen in den letzten Jahren vor 1100 sich schüchtern Rippen unter den Diagonalen der Kreuzgewölbe zu zeigen.

     Zuerst sind sie etwas gedrückte Rundbögen, später sind sie Halbkreise und bleiben es fast aus­nahmslos die ganze Gotik hindurch. Diese Rippen haben die Form von runden Wulsten, seltener sind sie vierkantig. Gegen 1125 ist das Kreuzgewölbe mit Rippen fertig gelöst. Auch die Gurtbögen (d. h. die Teilungsbögen der Gewölbefelder) sind nun aus dem Rundbogen in den Spitzbogen übergegangen, bald folgen auch die Schildbögen (d. h. Wandbögen an den Aussenmauern); doch sind gesonderte Schild­bögen noch selten.

     Die grossen Bögen unter den Hochschiffswänden waren den Gurt- und Schildbögen schon seit 1100 mit der Verwandlung in den Spitzbogen vorausge­gangen. Ein Beispiel hierfür findet sich auch auf deutschem Boden in dem Münster zu Basel. Auch die Lisenen fingen an sich schwach nach unten abzu­treppen und somit den Strebepfeiler vorzubereiten. Solche Beispiele bieten die Kirchen: Bellefontaine,

 

Cambronne, Vauxrezis, la Noël-Saint-Martin, die Eingangshalle von St. Leu d’Esserent.

     Die Rippen-Kreuzgewölbe*) haben sich also über den Seitenschiffen und Chorumgängen herausgebildet, sie kommen in den Quadraten der Chorschlüsse und unter den Türmen vor. Die Hochschiffe erhielten in vielen Fällen an Stelle der Holzdecken spitzbogige Tonnengewölbe.

     Die halbkreisförmigen Absiden, welche bis dahin mit Halbkuppeln überdeckt waren, werden polygonal gestaltet, Rippen spannen sich unter die einspringen­den Grate und laufen gegen die Spitze des ab­schliessenden grossen Bogens. In Deutschland finden sich solche mit Rippen verstärkten polygonalen Halbkuppeln noch in Offenbach am Glan. Daneben bleiben aber immer noch Kreuzgewölbe ohne Rippen im Gebrauch, jedoch nun in sauberster Schnittsteinherstellung. (Poissy, Vernouillet, Tracy-le-Val, die Krypta von S. Léger zu Soissons, die Templerkapelle zu Laon.) Die Rippen ihrerseits verfeinern sich allmählich. Sie werden mandel­förmig oder aus drei Rundstäben gebildet, oder aus zwei Rundstäben, die durch eine kleine Kante ge­trennt sind. — Während sich im Innern Rippen und Spitzbogen heimisch machen, bleiben die Fenster und Thüröffnungen fast ausnahms­los rundbogig. Auch die Rundbogenfriese unter den Hauptgesimsen bestehen fort, so dass sich das Aeussere kaum verändert; nur werden die Rund­bogenfenster länger und die Rundbogenfriese ein­facher als zu romanischer Zeit. Es ist, als wenn die Baumeister Bedenken trugen, das gewohnte Schema im Aeussern fallen zu lassen und nur im Innern wagten, sich frei den Bedürfnissen entsprechend zu entwickeln.

     Dieses Verhältnis zwischen dem völlig ins Gotische veränderten Inneren und dem kaum merk­lich veränderten romanischen Aeusseren bleibt bis gegen Ende des 12. Jahrhunderts beibehalten, be­sonders in Burgund, und wird von dort aus um 1200 durch die Cisterzienserbauten nach allen Ländern Westeuropas hinausgetragen; Bauten in diesem Stilcharakter finden wir in Italien, in den Klosterkirchen und Klöstern von Fossanova an der Via Appia, Casamari bei Frosinone, San Galgano,


*) Man nannte die Kreuzgewölbe auf Rippen im Mittel­alter richtig croisées sur arcs ogives (augives von augere, ver­stärken) Kreuzgewölbe mit VerstärkungsbÖgen. Als die Vor­liebe für die Baukunst des Mittelalters wieder rege wurde, verstand man jedoch die mittelalterliche Sprachweise nicht und nahm das Wort croisée für das gleichlautende Wort für Fenster und glaubte, es müsste arc ogive Spitzbogen heissen; das ganze also „Spitzbogenfenster“ statt „Kreuzgewölbe mit Verstärkungsgurten“. So ist das heutige französische Wort arc ogive für Spitzbogen entstanden! Man bemüht sich, nach­dem dieses Missverständnis schon um 1850 durch Lassus und Quicherat erkannt worden ist, arc brisé oder arc en tiers-point einzuführen.

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Empfohlene Zitierweise:
Max Hasak: Die Baukunst, 11. Heft. , 1899, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Baukunst_-_11._Heft_-_06.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)