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Einzelformen auf. Diese können nicht aus den Zeiten des Erzbischofs Warinus stammen, wohl aber die grossen Bogenstellungen im Schiff der Kirche, an welche der Chorbau nachträglich angebaut ist. Allerdings sind auch die Basen dieser grossen Rundbogenstellungen dieselben wie die in den Con­chen, aber diese Basen sind sicherlich erst zu der Zeit angebracht worden, als man die Choranlage an­fügte. Bei dem Bau dieser neuen Choranlage hat man die Seitenschiffe mit romanischen Kreuzgewölben überwölbt und, um für die Gurtbögen das nötige Auflager zu gewinnen, Halbsäulen mit Würfel­kapitellen an die grossen Schiffspfeiler wie an die Aussenwände angesetzt. Die Kirche des Erzbischofs Bruno oder Warinus hatte also wahrscheinlich Holz­decken in allen drei Schiffen und einen weniger weit nach Osten hinausgerückten Chor.

     Die nächste Baunachricht meldet, dass der heil. Anno, Erzbischof von Köln, der erste strenge Er­zieher Heinrichs IV., der Kirche des heil. Martin zwei Türme hinzugefügt hat [habito consilio duas turres, a fronte Sanctuarii consurgentes in aerem suberigi praecepit, laudem meritumque viduae duo minuta offerentis procul dubio obtinens].*) Diese Türme sind nicht mehr vorhanden. Sie müssen neben der Vorhalle gestanden haben, der Unterbau des südlichen ist anscheinend heut noch im Treppen­hause zur Orgelbühne erhalten. Der nördliche scheint erst abgebrochen worden zu sein, als die frühgotische Vorhalle erbaut wurde und das Hochschiff seine Ge­wölbe erhielt, denn auch das Gewölbe des letzten Seitenschiffsjoches ruht auf frühgotischen Säulen und ist um die (Treppen-) Turmbreite länger als die übrigen Kreuzgewölbe.

     1149 brennt dann die Kirche bei einem grossen Stadtbrande ab.**) 1172 wird sie durch Erzbischof Philipp I. von Heinsberg feierlich eingeweiht.***)

     Dass dieser Neubau nichts Anderes sein kann, als der heut noch erhaltene Dreiconchenbau mit seinem riesigen Vierungsturm macht folgendes wahrscheinlich. Das Benediktinerkloster Gross S. Martin war reich begütert. Als sein Gotteshaus ab­brannte, wird es sicher sofort zu einem würdigen Neubau geschritten sein. Wenn dieser von 1149 bis 1172 gedauert hat, so muss es sich schon um eine bedeutende Bauunternehmung gehandelt haben, denn es ist nicht anzunehmen, dass — da der Erzbischof von Köln zur Einweihung verhältnismässig leicht zu


*) Surius IV. 145 nach Dittges, Grss. S. Martin in Köln.

**) Ennen und Eckertz, Quellen zur Geschichte der Stadt Köln. Was in Lotz, Kunst-Topographie Deutschlands, an Zeit­bestimmungen für jene Zeit gegeben ist, muss mit Vorsicht benutzt werden.

***) Nach Kessel, Antiquitates Monasterii s. Martini majoris Coloniensis S. 98 befand sich früher folgende Inschrift in der Kirche: „Consecratum est hoc oratorium a.0 1172. Id. Maii.“

 

haben war — dieselbe erst lange nach Fertigstellung des Baues stattgefunden haben sollte. Aber die Mönche mussten einen Raum für die Abhaltung des Gottesdienstes während so langer Jahre haben. Der Brand der Kirche wird die Dächer und die Holzteile vernichtet und die Anno’schen Türmchen dem Einsturz nahe gebracht haben. Zuvörderst hat man daher Dach und Decken schleunigst wieder hergestellt, um einen gottesdienstlichen Raum zu besitzen. Dann aber ist ostwärts vom alten Chor die neue Dreiconchenanlage begonnen worden. Der Rhein war indessen seit Tilmon weit zurückgetreten, die Insel hatte sich der Stadt angegliedert. So führte man auf dem neuen Rheinstrande, welcher tief unten lag, auf riesigem Unterbau die neue Choranlage mit ihrem gewaltigen Vierungsturme auf. Dann zogen die Mönche in den neuen Chorbau, die alte Apsis mit der Chorwand wurde abgebrochen und nun auch die Seitenschiffe mit Kreuzgewölben überwölbt. Da­bei wurden sie mit romanischen Halbsäulen versehen und deren Basen auch den alten Pfeilern der Kirche des Erzbischofs Warinus umgelegt. Nur so erklärt sich im romanischen Langschiff der plötzliche Wechsel in der Bogenstellung und in sämtlichen Höhenmassen. Bei einem Bau aus einem Gusse würde kein Bau­meister auf solche unbegründete und unschöne Anstückelung verfallen sein. Nur so erklärt sich aber auch die lange Bauzeit. — Aus späterer Zeit ist eine Urkunde vorhanden, in welcher ein Abt Symon (1206—1211) bekundet, dass ein Magister Rudengerus ein Haus zu Seelenmessen für sich und seine beiden Frauen dem Kloster vermacht habe.*)


*) Ennen und Eckertz, Quellen zur Geschichte der Stadt Köln. Bd. II, S. 40. „Symon dei gratia abbas ecclesie beati Martini. Notum esse uolumus tam posteris quam presentibus quod Rudengerus bone memorie confrater noster quandam domum secus renum in area ecclesie ante cellarium sitam XVIII solidos annuatim persoluentem ecclesie nostre pro remedio anime sue et uxorum suarum Atzele scilicet et Petronille quam plurium testimonio delegauit ea conditione, ut in anniuersario suo VI sol. eiusdem census fratribus deseruiant, in anniuersario prioris uxoris Atzele IIII, in anniuersario Petronille II, in dedicatione ecclesie V sol. et VI denar., familiaribus uero ad signa ecclesie in eius anniuersario compulsanda VI denar. Preterea idem Rudengerus in edificio ecclesie nostre fideliter laborans VII marcas, tunc et XXX denarios de suo proprio in emptis lapidibus et calicem V marcarum bona fide deo et beato Martino optulit. Decrevit vero idem Rudengerus ut censum supradicte domus, quoad usque uiueret, libere susciperet.“ In Uebersetzung:

     Symon, von Gottes Gnaden Abt der Kirche des h. Martin. Es sei der Nachwelt wie den Gegenwärtigen bekannt gemacht, dass Rud. guten Angedenkens, unser Mitbruder, ein Haus am Rhein auf dem Kirchplatz vor dem Kellergebäude gelegen, das jährlich 18 Solidi einbringt, unserer Kirche zum Heile seiner Seele wie seiner Frauen, nämlich Atzela und Petronilla, unter der Bedingung vor sehr vielen Zeugen übertragen hat, dass an seinem Jahrestage 6 Sol. jenes Zinses den Brüdern zukäme, am Jahrestage seiner ersten Frau Atzela 4, am Jahres­tage der Petronilla 2, am Kirchweihfest aber 5 Sol. und 6 Denar; den Dienern aber, welche am Jahrestage die Kirchenglocken läuteten, 6 Den. Ausserdem gab dieser Rud., der in dem Ge­bäude unserer Kirche treu arbeitete, 7 Mark; dann noch 30 Den.

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Max Hasak: Die Baukunst, 11. Heft. , 1899, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Baukunst_-_11._Heft_-_11.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)