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Geheimniß in ihren weiblichen Gesichtern, welches ihre Lippen in einem zauberischen Lächeln umwebt, nur in einem Gleichniß anzudeuten. Ein in strenger Klosterascetik erzogenes Mädchen ist zum ersten Male in die Welt und auf einen Ball gekommen. Dort hat es den ersten weltlichen Tanz getanzt und das erste Liebeswort gehört. Oder will man lieber an Shakespeare’s Julie und ihre Lippen denken, zu welchen das erste Mal Romeo’s Lippen als Pilger gewallfahrtet sind, so wird man das Lächeln des Leonardomädchen verstehen. Sie stehen auf der zarten Linie, wo jenes süße Lächeln den Augenblick zwischen dem ersten Erröthen und dem ersten Erbleichen ausfüllt.

In Coreggio befreit sich das weibliche Naturideal so weit von der Kirchensatzung, daß diese nur ein Reiz für das lüsterne Begehren mehr wird. Dadurch kommt dasselbe Element in diese Kunstrichtung, wie es kurz vor Coreggio mit Macchiavelli’s Buch vom Fürsten in der Politik, und später mit Loyola in der christkatholischen Kirche sich feststellte.

Der heilige Franciscus vor der Madonna.

In einer offenen Säulenhalle mit Aussicht in das grüne Land sitzt die Madonna auf einem phantastisch emporgegipfelten Thronstuhle, die feinen Füße auf einem zierlichen Schemel; ihre Linke hält das auf ihrem Knie sitzende Christuskind, während sie sich anmuthig lächelnd herab zum niederknieenden heiligen Franciscus

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Julius Mosen: Die Dresdener Gemälde-Galerie. Arnoldische Buchhandlung, Dresden und Leipzig 1844, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Dresdener_Gem%C3%A4lde-Galerie_(Mosen).pdf/24&oldid=- (Version vom 31.7.2018)