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Anonym: Edda

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Unklugheit wundre   Keinen am Andern,

Denn Viele befällt sie.
Weise zu Tröpfen   wandelt auf Erden
Der Minne Macht.

* * *

94
Das Gemüth weiß allein,   das dem Herzen innewohnt

Und seine Neigung verschließt,
Daß ärger Übel   den Edeln nicht quälen mag
Als Liebesleid.

95
Selbst erfuhr ich das,   als ich im Schilfe saß

Und meiner Holden harrte.
Herz und Seele   war mir die süße Maid;
Gleichwohl erwarb ich sie nicht.

96
Ich fand Billungs Maid   auf ihrem Bette,

Weiß wie die Sonne,   schlafend.
Aller Fürsten Freude   fühlt ich nichtig,
Sollt ich ihrer länger ledig leben.

97
„Am Abend sollst du,   Odhin, kommen,

Wenn du die Maid gewinnen willst.
Nicht ziemt es sich,   daß mehr als Zwei
Von solcher Sünde wißen.“

98
Ich wandte mich weg   Erwiedrung hoffend,

Ob noch der Neigung ungewiss;
Jedennoch dacht ich,   ich dürft erringen
Ihre Gunst und Liebesglück.

99
So kehrt ich wieder:   da war zum Kampf

Strenge Schutzwehr auferweckt,
Mit brennenden Lichtern,   mit lodernden Scheitern
Mir der Weg verwehrt zur Lust.

100
Am folgenden Morgen   fand ich mich wieder ein,

Da schlief im Saal das Gesind;
Ein Hündlein sah ich   statt der herlichen Maid
An das Bett gebunden.

Empfohlene Zitierweise:
Karl Simrock (Hrsg.): Die Edda, die ältere und jüngere, nebst den mythischen Erzählungen der Skalda, 6. Aufl., Stuttgart 1876, Seite 49. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Edda_(1876).djvu/057&oldid=- (Version vom 31.7.2018)